Deutschland und Frankreich haben die Entscheidung über die Zukunft unseres Kontinents in der Hand. Deutschland wird dabei wirtschaftlich und finanziell, Frankreich politisch über seinen Schatten springen müssen, um Europa zu retten. Frankreich wird ja sagen müssen zur politischen Union, und das heißt eine gemeinsame Regierung mit gemeinsamer parlamentarischer Kontrolle in der Euro-Gruppe.
Joschka Fischer ist davon überzeugt, dass die Sparpolitik die Finanzkrise verschärft.
(Foto: dpa)Faktisch haben wir diesen Zustand bereits weitgehend, denn die nationalen Parlamente als Garanten der Haushaltssouveränität kontrollieren, und die nationalen Regierungen in der Euro-Zone agieren bei der Krisenbewältigung heute schon de facto als gemeinsame Regierung.
Und Deutschland muss sich entscheiden für eine Fiskalunion, und das heißt, dass Deutschland schlussendlich das finanzielle Überleben der Euro-Zone mit seiner Wirtschaftsmacht und seinem Vermögen wird garantieren müssen: uneingeschränkter Kauf der Staatsanleihen der Krisenländer durch die EZB, Europäisierung der nationalen Schulden mittels Euro-Bonds, Wachstumsprogramme, um eine Depression in der Euro-Zone zu verhindern und Wachstum zu generieren.
Man kann sich die wüste Polemik in Deutschland über ein solches Programm allzu leicht vorstellen. Noch mehr Schulden! Verlust der Kontrolle über unser Vermögen! Inflation! Das funktioniert alles nicht! Falsch, denn der Boom der deutschen Exportwirtschaft gründet genau auf solchen Programmen in den Schwellenländern und in den USA. Hätten China und die USA seit 2009 nicht massiv und teils schuldenfinanzierte Steuergelder in ihre Volkswirtschaften gepumpt, dann hätte es den Exportboom in Deutschland kaum gegeben.
Die Herausforderung der Strukturreform
Jenseits der Krisenrettung und der notwendigen Wachstumsimpulse gibt es für die Europäer eine dritte Herausforderung: die unabweisbaren Strukturreformen, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas massiv zu verstärken. Politische Union, Fiskalunion, Wachstum und Strukturreformen, diese vier Säulen müssen Europas Antwort auf seine Krise tragen. Und erneut ist es Deutschland, das wiedervereinigte Deutschland, von dem die Entscheidung über die Zukunft abhängt.
Begreifen wir Deutsche unsere gesamteuropäische Verantwortung? Im Moment sieht es nicht danach aus. Deutschland war selten so einsam und isoliert wie gegenwärtig. Kaum jemand versteht noch unsere dogmatische Sparpolitik wider alle Erfahrung, und man hält uns für ziemlich neben der und - einem Geisterfahrer gleich - gegen die Spur fahrend. Noch ist es für einen Wechsel der Politik nicht zu spät, aber die Zeit drängt. Es geht um Tage und Wochen, Monate vielleicht, aber nicht mehr um Jahre.
Im 20. Jahrhundert hat Deutschland zweimal mit Krieg bis hin zum Verbrechen und Völkermord sich selbst und die europäische Ordnung zerstört, um den Kontinent zu unterjochen. Deutschland hat daraus die richtigen Konsequenzen gezogen, und nur so - durch eine glaubhafte Umkehr und die Integration dieses großen Landes in der Mitte des Kontinents in den Westen und die EU - gab es die Zustimmung zur deutschen Einheit.
Es wäre eine Tragödie und Ironie zugleich, wenn jetzt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, das wiedervereinigte Deutschland, diesmal friedlich und mit den besten Absichten, die europäische Ordnung ein drittes Mal zugrunde richten würde.