Europa:Zwischen Hoffnung und Skepsis

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Im Zeichen der Primel: In Italien setzt man auf solche Impfpavillons vom Stararchitekten, die zu hunderten im Land stehen sollen. (Foto: Illustration: STEFANO BOERI ARCHITETTI/REUTERS)

Wie es um die Impfbereitschaft in anderen europäischen Ländern steht - ein Überblick.

Von Karin Janker, Cathrin Kahlweit, Thomas Kirchner, Oliver Meiler, Alexander Menden und Nadia Pantel

Italien

Eine rote Primel als Symbol der Wiedergeburt - so hat der Mailänder Stararchitekt Stefano Boeri sich das überlegt, als ihn die italienische Regierung um einen Entwurf für Impfzentren bat. Boeri zeichnete temporäre Pavillons aus ökologischen Materialien, die nun überall in Italien auf Piazzen, in Innenhöfen von Krankenhäusern und in Sportstadien errichtet werden. Zunächst 300, von Februar an sollen es dann 1500 sein. Auf dem Dach eine Blume, von weither sichtbar. "Die Primel ist ja die erste, die blüht nach dem Winter", sagte Boeri. Nach den jüngsten Umfragen wollen sich acht von zehn Italienern impfen lassen; vor einigen Wochen waren es noch weniger gewesen.

Zur anfänglichen Skepsis trug unter anderem auch Andrea Crisanti bei, ein berühmter Mikrobiologe, der die Transparenz bei der Herstellung der Impfstoffe öffentlich hinterfragt hatte und damit indirekt und ungewollt auch jenen ein bisschen recht gab, die an Komplotttheorien glauben. Solche Thesen, verbreitet über die sozialen Medien, hatten in Italien schon lange vor Corona Konjunktur. 13 Prozent der italienischen Eltern, so ergaben Studien, lassen ihren Nachwuchs mindestens gegen eine Kinderkrankheit nicht impfen. Die Bewegung nennt sich auch in Italien "No Vax". Am stärksten verbreitet ist die Ablehnung gegen das Impfen im Norden Italiens, unter gut gebildeten Bürgern. Und in keiner Provinz ist sie größer als in Südtirol.

Österreich

Die Kronen Zeitung ist begeistert. Sebastian Kurz zeige, wie gutes Regieren gehe; vom Krankenbett aus habe der Kanzler "900 000 Impfdosen erkämpft". Tatsächlich waren erste Lieferungen, die an Alten- und Pflegeheime gehen sollen, schon EU-weit verabredet und geplant gewesen, Nachschub war bereits bestellt. Kurz ließ es sich aber nicht nehmen zu betonen, dass von Januar an 900 000 Impfdosen zur Verfügung stünden.

Geringe Teilnahme: Bei Massentests - hier in Graz - machte nur knapp ein Viertel aller Österreicher mit. (Foto: Erwin Scheriau/dpa)

Hatte es bis vor wenigen Tagen noch geheißen, die Massenimpfungen würden in Österreich erst im kommenden Jahr beginnen, so sollen sie nun ebenfalls ab dem 27. Dezember vorgenommen werden. Die Regierung hatte Vakzine von unterschiedlichen Herstellern geordert. Gesundheitsminister Rudi Anschober betonte, es sei aber noch unklar, wer genau wann geimpft werde. In den Bundesländern tagen Impfkommissionen und versuchen, die Planung zu konkretisieren. Eine Impfpflicht gilt als ausgeschlossen, obwohl - oder weil - die Bereitschaft in der Bevölkerung offenbar sehr niedrig ist. An Massentests in den vergangenen Wochen hatte landesweit nur ein knappes Viertel der Bevölkerung teilgenommen; laut Umfragen liegt die Bereitschaft, sich "ganz sicher" gegen Corona impfen zu lassen, sogar nur bei 17 Prozent. Insgesamt 30 Prozent der Bevölkerung, schätzen Meinungsforscher, wären wohl letztlich für eine Impfung zu gewinnen.

Frankreich

Als Frankreichs Premierminister Jean Castex am Mittwochabend in der Nationalversammlung seinen Impfplan vorstellte, verwendete er ein Wort besonders häufig: Transparenz. Ende Dezember sollen die ersten Franzosen geimpft werden, zunächst in Alters- und Pflegeheimen. Doch das Impfen ist nicht nur aus logistischen Gründen eine Herausforderung, sondern auch wegen der Skepsis der Bevölkerung. Laut einer Umfrage vom Donnerstag sagen nur 38 Prozent der Franzosen, dass sie sich gegen das Coronavirus impfen lassen wollen, sobald ein Impfstoff zur Verfügung steht. 30 Prozent sagen, sie wollen sich "sicher nicht" impfen lassen, 19 Prozent "eher nicht" und 13 Prozent sind sich noch nicht sicher. Die Skeptiker argumentieren, man wisse noch nicht genug über das Virus und auch nicht über Nebenwirkungen des Impfstoffes. Das Misstrauen ist bei denjenigen besonders hoch, die sich in der politischen Opposition sehen. Nur 27 Prozent der Wähler des rechten Rassemblement National und 26 Prozent der Wähler der linken France Insoumise wollen sich impfen lassen.

Wenn Premier Castex nun betont, die Impfstoffvergabe solle besonders transparent ablaufen, liegt das auch daran, dass es bei der Pandemiebekämpfung bislang etliche Pannen gab. Im Frühjahr mangelte es an Masken und Schutzkleidung, auch für Klinikpersonal. Im Herbst waren die Testlabore komplett überlastet.

Großbritannien

Die britischen Boulevardmedien haben den 8. Dezember zum "V-Day" erklärt - in Anlehnung an den "VE ( Victory in Europe) Day", mit dem am 8. Mai der Sieg über Nazideutschland gefeiert wird. "V" steht für vaccination, also Impfung, denn am 8. Dezember wurde der Biontech-Impfstoff zum ersten Mal offiziell verabreicht. Die Daily Mail zitierte eine "V-Day-Heldin", die 81-jährige Lyn Wheeler, die als eine der ersten Britinnen geimpft wurde, mit der Aufforderung an Impfskeptiker, ihre "Pflicht für das Land zu tun" und sich impfen zu lassen. Dies ist umso bemerkenswerter, als gerade die Daily Mail bisher vehement die widerlegten Thesen des ehemaligen Arztes Andrew Wakefield verbreitete, Impfungen führten zu Autismus. Aufgrund der Wakefield-Kampagne war das Vereinigte Königreich eins der ersten europäischen Länder mit einer "Anti-Vaxxer"-Bewegung. Die Pandemie hat diese Tendenz befeuert; laut der Aufklärungsgruppe " Centre for countering digital hate" ist die Zahl britischer Follower auf Anti-Impf-Plattformen gestiegen.

"Pflicht für das Land tun": Als Erstes wurden in Großbritannien alte und gesundheitlich geschwächte Menschen geimpft. (Foto: Gareth Jones/dpa)

Die britische Regierung hat eine eigene "Gegen-Desinformationseinheit" eingerichtet, um Websites abzuschalten, die Fake News verbreiten, darunter Fehlinformationen zu Impfungen. Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Kantar sagten Ende November 75 Prozent der Befragten, sie würden sich "wahrscheinlich" impfen lassen. Der Umfrage zufolge spielt bei jenen, die zögern, auch Misstrauen angesichts der bisherigen Corona-Strategie der britischen Regierung eine Rolle.

Niederlande

Das Virus schlaucht die Niederlande. Und die Verantwortlichen. Der erste Gesundheitsminister trat im Frühjahr nach einem Zusammenbruch zurück, sein überarbeiteter Nachfolger Hugo de Jonge hat gerade sein Ziel aufgegeben, neuer Premier zu werden. Weil die Ansteckungszahlen weiterhin hoch sind und die Intensivstationen voll, hat die Regierung die Corona-Maßnahmen deutlich verschärft. Umso willkommener wäre eine Entlastung durch das Vakzin. Die Impfbereitschaft in der Bevölkerung entspricht zwar etwa jener in Deutschland. Doch bei der Vorbereitung zeigt sich eine Parallele zum schleppenden Tempo beim Aufbau der Testkapazitäten im Frühjahr. Hatte de Jonge zunächst die erste Januarwoche als Termin für den Beginn der Impfungen genannt, wird nun eher Mitte des Monats angepeilt. Dass der erste Impfstoff doch schon vor Weihnachten zugelassen werden könnte, hat die Niederlande auf dem falschen Fuß erwischt. Sie sind nicht so weit. Dass sie zu den europäischen Ländern gehören, die am 27. Dezember gemeinsam loslegen, steht kaum zu erwarten. Ein großes Problem ist offenbar das IT-System der regionalen Gesundheitsbehörden. Sie sollen in 15 Zentren zunächst etwa 450 000 Mitarbeiter von Kliniken und Pflegeheimen impfen. Das Land liefere "kein schönes Bild", schimpft ein sozialistischer Abgeordneter. Dass der Impfstoff komme, sei schließlich "keine Überraschung".

Spanien

Grundsätzlich sehen die Spanier Impfungen pragmatisch. Das Land hat bei den Standardimpfungen eine der höchsten Impfraten der Welt. Auch die Grippeimpfung nehmen laut OECD-Statistik jedes Jahr rund 55 Prozent der Spanier über 65 Jahre in Anspruch, Deutschland erreicht in dieser Altersgruppe nur eine Quote von 35 Prozent. Bei der Impfung gegen Sars-CoV-2 fällt die Bereitschaft jedoch geringer aus: In einer Studie des Instituts 40dB sagen nur 24 Prozent der Befragten, dass sie sich so schnell wie möglich gegen das Virus impfen lassen möchten. 13 Prozent wollen sich überhaupt nicht impfen lassen. Das Institut fragte auch gängige Verschwörungsmythen ab: Demnach glauben acht Prozent der Befragten, Covid würde durch die Mobilfunktechnik 5G übertragen. Laut einer Umfrage des Weltwirtschaftsforums will sich die Mehrheit der Spanier erst nach einem Jahr impfen lassen. Skeptisch mache sie vor allem, dass die Studien so schnell abgeschlossen würden sowie die Angst vor Nebenwirkungen. Im internationalen Vergleich gehört Spanien zu den zurückhaltendsten Ländern.

Viele ältere Spanier lassen sich gegen Grippe impfen; bei Corona ist die Bereitschaft deutlich geringer. (Foto: Jordi Boixareu/imago images/ZUMA Wire)

Dabei will Gesundheitsminister Salvador Illa ab 27. Dezember mit dem Impfen beginnen. In einer ersten Runde sollen Bewohner und Mitarbeiter von Seniorenheimen geimpft werden, danach Gesundheitspersonal und Risikogruppen. Spanien hat für seine 47 Millionen Einwohner 140 Millionen Impfdosen bestellt.

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