EU:Endlich bekennt Berlin sich zu Europa

Angela Merkel und Emmanuel Macron

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron geben am 15. Dezember 2017 beim EU-Gipfel in Brüssel eine Pressekonferenz.

(Foto: picture alliance / Geert Vanden)

Dank des Herzbluts der Sondierer wachsen Frankreich und Deutschland wieder zusammen - gerade rechtzeitig, denn aus dem Süden droht ein Großkonflikt um die Seele Europas.

Kommentar von Stefan Ulrich

Emmanuel Macron wird wegen seines Ungestüms getadelt, das ihm den Spottnamen "Jupiter" eingebracht hat. Dabei kann der französische Präsident geduldig sein wie die Sommergöttin Auxo, die die Menschen lehrte, die Zeit der Ernte abzuwarten. Seit dem Sommer harrt Macron der Stunde, da seine Saat auf der anderen Seite des Rheins aufgeht. Aber das Klima des Bundestagswahlkampfes und der Koalitionsverhandlungen war zu rau dafür.

So ging Monat um Monat ins Land, während der Mann im Élysée stillhalten musste. Doch das Warten hat sich gelohnt. Jetzt, mitten im Januar, keimen Macrons Europaideen in Berlin so auf, wie er es wohl selbst nicht mehr erwartet hätte. Nicht alle. Aber doch genug.

CDU, CSU und SPD haben Europa ins Zentrum ihres Sondierungspapiers gestellt, das zum Leitbild der nächsten Bundesregierung werden dürfte. Und sie haben ihre Bekenntnisse nicht nur pflichtschuldig aus Sonntagsreden hineinkopiert, sondern mit Herzblut hineingeschrieben. Allein der bedingungsfreie Satz: "Wir sind auch zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit" zeigt, dass es die Großkoalitionäre in spe ernst meinen mit ihrem "europapolitischen Aufbruch". Nicht nur Emmanuel Macron kann aufatmen.

Berlin und Paris kommen in der EU wieder stärker zusammen

Seit Jahren trat Deutschland als Sparfuchs des Kontinents auf, der die anderen zur Austerität verpflichtete, während er sich selbst reicher Steuereinnahmen erfreute. Jeder hafte für seine Fehler, jeder bezahle seine Schuld, lautete das Credo von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und der ganzen Regierung Merkel. Solidarität dürfe nicht zur Schuldenumverteilung führen, Geldgeschenke förderten den Schlendrian in ärmeren Staaten und trieben deutsche Wähler populistischen Parteien zu.

Das war nicht ganz falsch. Aber auch nicht völlig richtig. Natürlich hat die Finanzkrise gezeigt, dass viele Staaten verantwortungslos viel Geld ausgegeben haben und ihre Finanzen dringend unter Kontrolle bringen mussten. Nur: Eine EU, die sich als Schicksalsgemeinschaft in rauer Welt versteht, die immer enger zusammenwachsen will und in weiten Teilen mit demselben Geld bezahlt, kommt auf Dauer nicht ohne mehr Umverteilung aus.

Länder wie Griechenland oder Italien finden durch Sparen allein nicht aus der Krise. Politische Fehler, strukturelle Schwächen, unverschuldete Wirtschaftskrisen oder blanke soziale Not müssen auch gemeinsam angegangen werden. Wem viel gegeben ist, von dem wird, zu Recht, viel verlangt. Auch in Europa.

Das versucht Macron Deutschland seit dem Sommer klarzumachen. Im Unterschied zu seinen Vorgängern fordert er jedoch nicht nur, sondern leistet auch etwas selbst. Er reformiert Frankreich in einem Tempo, das kaum jemand für möglich hielt. Er hat sich die Antwort aus Berlin redlich verdient.

In dieser Antwort wird ein Paradigmenwechsel erkennbar. Die große Koalition, so sie kommt, wird mehr Geld für Europa und insbesondere die Euro-Zone bereitstellen, um Krisen abzufedern, Strukturreformen anzugehen, Investitionen anzustoßen, Jobs zu schaffen. Sie wird sich für Steuergerechtigkeit und soziale Mindeststandards einsetzen. Das wird Deutschland Sympathie und Rückhalt bei vielen Europäern bringen. Und dies ist noch mehr wert als die schönste schwarze Null.

Im Süden zieht neues Unheil auf

Der Brückenbau von Berlin nach Paris, der sich nun abzeichnet, wäre mit einer schwarz-gelb-grünen Koalition so nicht möglich gewesen. Dafür ist die Lindner-FDP zu nationalliberal. Die SPD von Martin Schulz und Sigmar Gabriel verpflichtet die neue Bundesregierung dagegen zu deutlich mehr europäischer Integration. Die Kanzlerinnen-CDU folgt - hoffentlich mehr volens als nolens.

So erwacht Deutschland aus europapolitischer Lähmung. Und es bemerkt: Die Griechenland-Krise ist entschärft, doch im Süden zieht neues Unheil auf. Im März wählt das hochverschuldete, wachstumsschwache Italien. Die Parteien versprechen das Blaue vom mediterranen Himmel herunter. Und in der nächsten Regierung dürfte Silvio Berlusconi kräftig mitmischen, ein erprobter Ruinator des Landes. Zugleich driften östliche Staaten der EU, nicht nur Polen, in den autoritären Nationalismus ab. Dies wird zu einem Großkonflikt um die Seele Europas führen, der auch in der Flüchtlingspolitik ausgetragen wird. Die Fliehkräfte der EU bleiben also hoch. Umso erfreulicher ist es, dass die Anziehungskraft zwischen Deutschland und Frankreich wieder steigt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: