Europa:West-östliche Gratwanderung

In Warschau wird die künftige Kommissionschefin Ursula von der Leyen herzlich empfangen. Die rechtsnationale Regierung hofft auf einen einflussreichen Posten in Brüssel.

Von Matthias Kolb und Alexander Mühlauer, Brüssel

Mateusz Morawiecki freut sich sichtlich über die Besucherin aus Deutschland. Der polnische Regierungschef begrüßt Ursula von der Leyen mit einem Lächeln, als sie am Donnerstag in Warschau aus der Limousine steigt. Eine neue Zeit mit neuen Ideen werde beginnen, wenn die Deutsche die Nachfolge von Jean-Claude Juncker an der Spitze der EU-Kommission übernimmt, schwärmt Morawiecki.

Auch wenn von der Leyen nicht so ausdauernd strahlt wie beim Presseauftritt an der Seite von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron zwei Tage zuvor, ist die Stimmung in Warschau doch ausgesprochen gut. "Polen ist ein wichtiges EU-Mitglied und deswegen war es mir wichtig, nach den Besuchen in Paris und Berlin nach Warschau zu reisen", sagt die CDU-Politikerin. Es gelte, schwierige Themen wie Migration und Rechtsstaatlichkeit zu lösen, doch wichtig sei auch der Ton: "Ich denke es ist wichtig, aufeinander zu hören und respektvoll miteinander umzugehen." Morawiecki macht klar, worum es bei dem mehr als zweistündigen Treffen geht: "Wir diskutieren Personalfragen, die Zusammensetzung der neuen Kommission und welche Aufgabe Polen übertragen wird."

Von der Leyen hat zugesagt, ebenso viele Frauen wie Männer ins Kollegium zu holen

Eine Woche nach ihrer äußerst knappen Wahl zur neuen Kommissionschefin steckt von der Leyen mitten in der schwierigen Aufgabe, nicht nur Mitarbeiter mit umfassender Brüssel-Expertise für ihr eigenes Büro zu finden, sondern auch das Personal für die EU-Kommission zusammenzustellen und die Portfolios zu verteilen. Wie kompliziert dies angesichts der Interessen der Mitgliedstaaten und Eitelkeiten so mancher Regierungschefs ist, illustriert ihre Reiseroute. Als nächstes wird sie nach Kroatien reisen, um das jüngste EU-Mitglied zu besuchen und die Perspektive eines kleinen Landes zu hören. Bald sind Besuche in Rom und Madrid geplant, danach könnte von der Leyen nach Skandinavien und ins Baltikum reisen.

Fingerspitzengefühl, Ausdauer und Geduld wird die Deutsche brauchen. Bis zum 26. August haben die Mitgliedstaaten Zeit, ihre Kandidaten zu nominieren - doch schon jetzt zeigen sich erste Schwierigkeiten. Denn im Vergleich zur stets nötigen Balance aus Regionen, Parteizugehörigkeit und Größe der Mitgliedstaaten hat von der Leyen einen Faktor ins Zentrum gerückt: Sie hat sich dazu verpflichtet, ebenso viele Frauen wie Männer in das Kollegium der Kommissare zu berufen.

Doch unter den bisher bekannten Kandidaten dominieren Männer. Österreich etwa will Johannes Hahn in Brüssel belassen, Griechenland setzt auf Margaritis Schinas, zuvor Chefsprecher von Juncker, und Luxemburg entsendet den Sozialdemokraten Nicolas Schmit. Nachdem Malta Helena Dalli nominiert hat, kommen auf zehn Männer sechs Frauen. Neben Dalli und von der Leyen selbst sind dies die Bulgarin Mariya Gabriel, die Finnin Jutta Urpilainen sowie Kadri Simson aus Estland.

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Sonnige Stimmung in Paris: Am Dienstag empfing Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die künftige EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zum Mittagessen im Élysée.

(Foto: Julien Mattia/imago)

Dass auf der zweithöchsten Ebene Parität gelten wird, haben die Staats- und Regierungschefs beim letzten Sondergipfel sichergestellt. Als Vizepräsidenten stehen der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans und die liberale Dänin Margrethe Vestager bereits fest. Die bisherige Wettbewerbskommissarin will ihr Dossier am liebsten behalten - und dringt auf zusätzliche Verantwortlichkeiten im Bereich Binnenmarkt. Zwei Mal haben sich von der Leyen und Vestager bereits zu einem Gespräch getroffen. Beide Frauen gelten als pragmatisch, effizient und detailversessen. Dem Vernehmen nach stimmt zwischen ihnen die Chemie.

Bei Timmermans sind sich manche in Brüssel nicht so sicher. Der Niederländer macht keinen Hehl daraus, dass er sich selbst gerne an der Spitze der Kommission gesehen hätte. Am Dienstag betonte er, dass er zwar ein "unabhängiger Denker" sei, aber zugleich den Wert von "politischer Loyalität" kenne. Dies gelte auch gegenüber von der Leyen, die ihm Aufgaben zuteilen werde.

Als wahrscheinlich gilt, dass Timmermans das Thema Rechtsstaatlichkeit abgibt. Er hatte die laufenden Artikel-7-Verfahren gegen Polen und Ungarn vorangetrieben. Daher ist er in den Visegrád-Staaten nicht gerade willkommen. Die Länder sehen sich als "Europäer zweiter Klasse" herabgesetzt. Um die Debatte über Justizreformen zu versachlichen, wird künftig für jeden Mitgliedstaat ein jährlicher Prüfbericht mit exakt gleichen Kriterien erstellt. Von der Leyen will die Spannungen zwischen Brüssel und den betroffenen Staaten verringern. Um das zu erreichen, wird in Kommissionskreisen darüber diskutiert, einem Osteuropäer dieses Portfolio zu geben und so zur Abkühlung der Gemüter beizutragen. Der Lette Valdis Dombrovskis gilt mit seiner sachlichen Art als denkbarer Kandidat.

Das wäre ganz im Sinne von Polens Regierung. Morawiecki dürfte von der Leyen in Warschau auch daran erinnert haben, dass sie ohne die Stimmen der 26 Europaabgeordneten der rechtsnationalen PiS nicht gewählt worden wäre. In der nächsten Kommission möchte Polen gerne für Energie zuständig sein. Und in Krzysztof Szczerski, dem bisherigen Kabinettschef von Präsident Andrzej Duda, hat auch Morawiecki einen Mann nominiert. Obwohl der Männerüberschuss nun bei 11 zu 6 liegt, heißt es aus von der Leyens Umfeld, dass die Parität keineswegs gefährdet sei.

Europa: Am Donnerstag reiste Ursula von der Leyen weiter zu Polens Premier Mateusz Morawiecki.

Am Donnerstag reiste Ursula von der Leyen weiter zu Polens Premier Mateusz Morawiecki.

(Foto: Janek Skarznyki/AFP)

Bleibt die Frage: Was bekommt Frankreich? Dem Vernehmen nach gefällt Macron das Klima-Portfolio. Das Wirtschafts- und Währungsressort, das derzeit Pierre Moscovici führt, dürfte nicht erneut an Paris gehen, denn mit Christine Lagarde als künftiger EZB-Präsidentin hat sich Frankreich großen Einfluss auf die Zukunft des Euros gesichert. Insofern könnte Timmermans, den das Klima-Thema auch reizt, am Ende auch Wirtschaftskommissar werden. Als Niederländer steht er für eine solide Finanzpolitik und als Sozialdemokrat für eine gewisse Flexibilität im Umgang mit Staaten wie Italien. In Brüssel registrieren Diplomaten außerdem das wachsende Brexit-Interesse Timmermans.

Noch ist nichts entschieden. Und das Okay aller Mitgliedstaaten einzuholen, ist für von der Leyen nur die erste Hürde. Von Oktober an müssen dann ihre Kandidaten den Fachausschüssen des Europaparlaments Rede und Antwort stehen. Oft scheitert mindestens ein Bewerber. Dann wäre eine Ehrenrunde nötig, denn die Kommission muss in ihrer Gesamtheit im Parlament bestätigt werden. Gelingt dies nicht bis zum 31. Oktober, müssen Juncker und sein Team noch etwas weitermachen.

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