Süddeutsche Zeitung

Europa:Wenig Grün-Flächen auf dem Land

In Europa kann die Öko-Partei mit dem Erfolg in Deutschland noch nicht mithalten. Vor dem Parteitag fordert ihr Chef Bütikofer eine neue Strategie.

Von Karoline M. Beisel und Matthias Kolb, Brüssel

Baerbock oder Habeck? In Deutschland wird darüber diskutiert, wer von den Grünen wohl am besten im Bundeskanzleramt wäre. In Brüssel wären die Grünen vermutlich schon froh, wenn sie einen grünen Kommissar in der kommenden EU-Kommission stellen könnten: Auf europäischer Ebene ist die viel beschworene "Grüne Welle" bisher eher ein sachtes Schwappen. Bei der Europawahl im Mai waren die Grünen zwar so stark wie nie und stellen jetzt 75 der insgesamt 751 Abgeordneten im EU-Parlament. Das liegt aber vor allem an guten bis sehr guten Ergebnissen in Ländern West- und Nordeuropas. Aus Griechenland, Kroatien oder Polen sitzt dagegen weiterhin kein einziger grüner Abgeordneter im Europaparlament, auch wenn die Grünen in Polen zuletzt etwas zugelegt haben (siehe unten).

Klar, dass die Grünen das ändern möchten, aber wie? Darüber diskutieren die Mitglieder der Europäischen Dachpartei an diesem Wochenende auf ihrem Parteitag im finnischen Tampere. Die Chefin der Europäischen Grünen, die Italienerin Monica Frassoni, glaubt, dass dafür nicht mehr nur Klimathemen eine Rolle spielen: "Fragen von Demokratie und der verantwortungsvollen Regierungsführung sind für die Menschen in Osteuropa sehr wichtig", sagt sie, darin liege eine Chance für ihre Partei. "In den nächsten fünf Jahren wollen wir eine Strategie für den Osten und für den Süden ins Zentrum rücken", sagt Reinhard Bütikofer, ihr Partner in der traditionellen grünen Doppelspitze.

Für Bütikofer bedeutet dieser Parteitag eine Zäsur: Seit 2012 war er der Chef der Europäischen Grünen, Frassoni hatte dieses Amt bereits seit 2009 inne. Beide geben ihre Ämter nun auf. Frassoni, weil die Statuten keine weitere Wahl zulassen. Bütikofer, der noch zweieinhalb Jahre hätte dranhängen können, will seinen Nachfolgern ausreichend Zeit geben, sich auf die Europawahl 2024 vorzubereiten. "Der andere Grund ist privat. Meine Frau ist in Rente gegangen, und ich will mehr Zeit mit ihr verbringen", sagt Bütikofer, der aber weiterhin ein Mandat im Europaparlament besitzt; der Politik wird er also erhalten bleiben.

Auch dünner besiedelte Regionen für grüne Politik zu begeistern, ist für Bütikofer eine Zukunftsaufgabe: "Wir dürfen die ländlichen Räume nicht den Populisten überlassen, sondern müssen verhindern, dass sie zu Aufmarschräumen werden für Rechtsradikale und Nationalisten", sagt er. "Wenn wir Städter das nicht begreifen, dann werden wir das möglicherweise auf die harte Weise spüren." Insoweit gebe es Parallelen zwischen den schwachen Wahlergebnissen der Grünen in manchen Ländern Europas und bei den ostdeutschen Landtagswahlen der vergangenen Wochen und Monate, etwa in Thüringen, wo die Grünen nur knapp die Fünf-Prozent-Hürde überwunden haben.

Auf dem europäischen Parteitag in Tampere soll es außerdem darum gehen, wie sich die Energie, welche die "Fridays for Future"- und auch die "Extinction Rebellion"-Demonstrationen freigesetzt hätten, auf lokaler Ebene nutzen lasse. "Die Frage muss lauten: Bis wann ist Köln klimaneutral? Bis wann ist München klimaneutral? Bis wann Stuttgart?" In diesen Diskussionen könnten "örtliche Aktivisten eine grandiose treibende Rolle spielen", sagt Bütikofer, auch wenn er das Wort Klima-"Notstand" lieber vermeiden würde: "Für mich kommt da die Assoziation Notstandsgesetze hoch."

Die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat den "Green New Deal" zu einem der Kernanliegen ihrer Amtszeit erklärt - jenen Slogan also, mit dem die Europäischen Grünen schon 2009 in den Wahlkampf gezogen waren. Kein Problem für Bütikofer: "Ich glaube, wenn man eine gute Idee hat, muss man sie teilen wollen", sagt er. Auch Frassoni glaubt: "Wir Grünen müssen noch sehr viel erreichen, bis wir überflüssig werden."

Für Frassonis und Bütikofers Nachfolge gibt es nur zwei Kandidaten: die Belgierin Evelyne Huytebroeck und den Österreicher Thomas Waitz. Man tut wohl beiden kein Unrecht, wenn man feststellt, dass sie außerhalb ihrer Heimatländer unbekannt sind. Doch das gilt auch für die Chefs der europäischen Parteien der Christ- oder Sozialdemokraten: den Franzosen Joseph Daul, den Bulgaren Sergei Stanischew.

Bütikofer jedenfalls ist überzeugt, dass die europäischen Parteien wichtiger und ihr Führungspersonal dadurch an Bedeutung gewinnen werden. Früher sei das anders gewesen: "Jahrelang sah man ja schon blöd aus, wenn man nur vorgeschlagen hat, dass auf den Wahlzetteln zur Europawahl vielleicht neben dem Logo der nationalen Partei auch das Logo der jeweiligen europäischen Partei stehen sollte."

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Quelle:
SZ vom 07.11.2019
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