Europa:Weich gefallen

EU-Spitzenbeamter Selmayr gibt Posten auf

Vienna calling: Der bisherige Generalsekretär der EU-Kommission, Martin Selmayr, wird EU-Botschafter in Österreich. Seine Blitzbeförderung in Brüssel im Jahr 2018 löste Empörung aus.

(Foto: Virginia Mayo/dpa)

Der umstrittene EU-Beamte Selmayr war lange die rechte Hand von Kommissionspräsident Juncker. In Brüssel schlug ihm eine Mischung aus Bewunderung und Argwohn entgegen. Jetzt wird der Deutsche Botschafter in Wien.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Wenn einer geht, gibt es zum Abschied meistens freundliche Worte. In der Kommission der Europäischen Union ist dafür Günther Oettinger zuständig. Das ist keine schlechte Wahl, denn der Schwabe kann seine eigene Meinung nur schwer verstecken. Der in Brüssel für Haushalt und Personal verantwortliche Kommissar liebt es, Klartext zu sprechen - auch wenn er dafür von so manchem Moralapostel an den Pranger gestellt wird. Am Mittwoch musste Oettinger den wohl umstrittensten Mitarbeiter der EU-Kommission verabschieden: Martin Selmayr, 48, Generalsekretär und rechte Hand von Noch-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Der Deutsche wird Brüssel verlassen und vom 1. November an als EU-Botschafter in Wien tätig sein.

Oettinger sagte also im Pressesaal der Kommission einen Satz, in dem viel Wahres steckt: "Ich glaube, die fünf Jahre Jean-Claude-Juncker-Kommission wären ohne seine Mitwirkung in der Form nicht denkbar." In Brüssel sind viele davon überzeugt, dass Juncker diese fünf Jahre ohne Selmayr überhaupt nicht hätte durchstehen können. Manche glaubten gar, dass der Deutsche der eigentliche Regent der EU-Kommission war. Doch tatsächlich funktionierten die beiden nur zusammen.

Selmayr war Organisator, Exekutor und Stratege; Juncker der Mann mit der Erfahrung, dem Netzwerk und dem politischen Instinkt. Im Tagesgeschäft stützte sich der Luxemburger auf jenes Herrschaftssystem, das sein Adlatus perfektioniert hatte. Es war deshalb durchaus ehrlich, als Juncker im Frühjahr 2018 sagte: "Wenn er (Selmayr) geht, gehe ich auch." Zuvor war der Deutsche binnen Minuten erst zum stellvertretenden Generalsekretär und dann zum Generalsekretär benannt worden. Diese Blitzbeförderung zum mächtigsten Beamten der Behörde löste eine Welle der Empörung aus. Das Europäische Parlament forderte Selmayrs Rücktritt.

Doch der hielt sich. In Brüssel schlug ihm eine Mischung aus Bewunderung und Argwohn entgegen. Er genießt noch immer einen Ruf wie Donnerhall. Selmayr gilt als hochintelligent und außerordentlich reizbar, als sehr kompetent und äußerst machtbewusst. Manche Kommissare klagten, dass er entscheide, wer zu Juncker vorgelassen werde. Andere wiederum beschrieben ihn als überzeugten Europäer, der äußerst effektiv arbeite und alles dafür tue, damit die EU das bleibt, was sie ist: ein einzigartiges Friedensprojekt.

Nachdem Selmayr für Juncker Wahlkampfmanager, Kabinettschef und Generalsekretär war, wird er bis zum 31. Oktober noch als Berater für seinen Chef tätig sein. Wen die designierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als Selmayrs Nachfolger benennt, ist offen. Klar ist nur: Unter einer deutschen Präsidentin kann es kein Deutscher sein. Oettinger nannte Selmayrs Abschied aus Brüssel deshalb "folgerichtig". Und dann sagte er noch: "Die meisten sind ihm dankbar, und die, die nicht dankbar sind, haben zumindest Respekt vor ihm."

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