Die Europäische Kommission will die Staaten Europas mit bis zu 150 Milliarden Euro bei der Aufrüstung unterstützen. Das geht aus einem neuen Plan namens „ReArm Europe“ hervor, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag vorgestellt hat. Die EU-Mitgliedsländer sollen für konkrete Verteidigungsprojekte Kredite abrufen können, für die die Kommission gemeinsame EU-Schulden aufnehmen würde. Ohne es konkret zu beschreiben, sprach von der Leyen in einer Presseerklärung lediglich von einem „neuen Instrument“, um den Mitgliedstaaten Geld zu leihen.
In einem Brief an die Staats- und Regierungschefs benennt von der Leyen „vorrangige Kapazitäten, in denen Maßnahmen auf europäischer Ebene erforderlich sind“ – darunter Flug- und Raketenabwehr, Artilleriesysteme, Raketen und Munition sowie Drohnen und Anti-Drohnen-Systeme. Eine gemeinsame Verschuldung ist für einen Teil der Mitgliedstaaten deshalb interessant, weil sich die Kommission günstiger finanzieren kann als manch einzelne Länder. Vorbild für den Plan dürfte das im ersten Pandemiejahr ins Leben gerufene Nothilfeprogramm „Sure“ sein, das den Mitgliedstaaten 100 Milliarden Euro zur Finanzierung von Kurzarbeit zur Verfügung stellte. Vorteil: Der Rat der Mitgliedstaaten könnte darüber mit Mehrheit und ohne Einbindung des EU-Parlaments entscheiden.
Auch eine Umwidmung ungenutzter Gelder zur Regionalförderung ist geplant
Als zweiten Teil des Plans kündigte von der Leyen wie erwartet an, eine Ausnahmeklausel in den europäischen Schuldenregeln zu aktivieren. Damit können sich die Mitgliedstaaten für Verteidigungsausgaben auf nationaler Ebene zusätzlich verschulden, ohne die EU-Schuldenbremse zu verletzen. Die Verschuldungsregeln legen fest, dass sie ihre Verschuldung mit mehrjährigen Finanzplänen auf unter 60 Prozent und ihr jährliches Defizit auf weniger als drei Prozent bringen sollen.
Das werde die „Anstrengungen der EU unterstützen, eine rasche und deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben zu erreichen“, schreibt von der Leyen in ihrem Brief. Die mit dem neuen Instrument aufgenommenen Kredite sollen bei der Ausnahmeklausel berücksichtigt werden, heißt es weiter. Am Dienstagmorgen rechnete sie vor: Wenn die Mitgliedstaaten ihre Verteidigungsausgaben um durchschnittlich 1,5 Prozentpunkte ihrer Wirtschaftsleistung erhöhten, „könnte dies über einen Zeitraum von vier Jahren einen finanziellen Spielraum von fast 650 Milliarden Euro schaffen“. Zusätzlich mahnt sie an, die Rahmenbedingungen für privates Kapital in der EU schnell zu verbessern, da öffentliche Gelder allein nicht ausreichten.
Dritter Teil des Vorschlags ist eine Umwidmung von nicht genutzten Mitteln zur Regionalförderung aus dem EU-Haushalt, den Kohäsionsgeldern. Für das gemeinsame Budget von zuletzt insgesamt 1,2 Billionen Euro über sieben Jahre, das die EU-Kommission verwaltet, sind direkte Rüstungsausgaben vertragsgemäß allerdings tabu. In von der Leyens Brief ist dementsprechend von „Investitionen im Verteidigungsbereich“ die Rede. Für diese will sie den Spielraum vergrößern: Geld, das sonst in die Renovierung von Strandpromenaden fließt, könnte mithin künftig der Rüstungsindustrie zugutekommen.
Die Europäische Investitionsbank finanziert zunehmend Rüstungsaufgaben
Nicht zuletzt soll die Europäische Investitionsbank eine größere Rolle spielen. Die Bank gehört den EU-Staaten, sie fördert etwa Erneuerbare-Energie-Projekte, finanziert Wasserstoff-Produktionsanlagen und unterstützt den Neubau energieeffizienter Wohnungen – seit einigen Jahren mit dem selbst formulierten Anspruch, Europas „Klimabank“ zu sein. Seit einiger Zeit weitet die Bank ihr Engagement im Rüstungsbereich aus, zuletzt eine Milliarde Euro im vergangenen Jahr. Sie werde bald noch mehr dazu vorlegen, kündigt von der Leyen an. Beim EU-Gipfel am Donnerstag werden die Staats- und Regierungschefs die Bank auffordern, rasch mehr zu tun.
Mit dem Aufrüstungsplan greift von der Leyen einer größer angelegten Initiative im Verteidigungsbereich vor, die sich die CDU-Politikerin in ihrer zweiten Amtszeit vorgenommen hat. Sie soll noch im März vorgestellt werden. Nachdem Donald Trump das transatlantische Bündnis in seiner bisherigen Form aufgekündigt hat, ist der Druck auf die Europäer akut gestiegen, mehr für ihre eigene Verteidigung zu tun. Das beinhaltet Investitionen von mehreren Hundert Milliarden Euro in den kommenden Jahren, um Europas Militärs in die Lage zu versetzen, Russland als potenziellen Aggressor abzuschrecken. „Wir leben in der bewegtesten und gefährlichsten Zeit“, sagte von der Leyen am Dienstag.