Süddeutsche Zeitung

Polen:Geld für jeden

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Trotz gewaltiger Unterschiede, gerade zwischen wohlhabenden Metropolen und dem flachen Land, klagen die Menschen kaum über Ungleichheit. Das liegt nicht zuletzt an den Sozialleistungen der konservativen Regierung.

Von Florian Hassel, Warschau

Das Dorf Chotcza, 130 Kilometer südöstlich von Warschau, hat Naturliebhabern viel zu bieten: Störche und andere seltene Vögel oder die nahe naturbelassene Weichsel. Nur ums Geldverdienen ist es schlecht bestellt. 2500 Menschen leben in dem Dorf. Am Ende des Monats haben sie im Durchschnitt umgerechnet 360 Euro zur freien Verfügung - ein Einwohner Warschaus dagegen kommt auf knapp 1100 Euro, rein statistisch gesehen.

Seit dem Ende des Kommunismus sind Einkommen und Lebensstandard aller Polen gestiegen (von 1989 bis 2015 um 73 Prozent) - und das nicht nur in den reichen Städten wie Warschau oder Danzig, Posen oder Breslau. Auch auf dem Land, wo immer noch zwei Fünftel der Polen leben, sind viele Straßen, Schulen und Kindergärten neu, ist der Internetempfang oft nicht schlechter als in der Stadt, ist das Leben deutlich bequemer geworden; eine Folge vor allem der EU-Subventionen für Polens Bauern, die allein von 2004 bis 2017 rund 28 Milliarden Euro von der EU bekamen. Zudem zahlen die Bauern oft kaum Steuern, haben eine eigene Versicherung und gebieten über eigenes Land und Haus. Das gilt auch für viele Stadtbewohner, deren Wohnungen nach dem Fall des Kommunismus privatisiert wurden. Und polnische Gehälter sind mit durchschnittlich 813 Euro netto etwa dreimal höher als in der benachbarten Ukraine.

Auch in Polen wächst indes die Ungleichheit, die Ökonomen Pawel Bukowski und Filip Novokmet sagen, sogar deutlich stärker, als dies offizielle Statistiken erkennen lassen. Das am besten verdienende Zehntel der Polen steigerte seine Einkünfte vom Ende des Kommunismus bis 2015 um 190 Prozent, die ein Prozent der Bevölkerung ausmachende Spitzengruppe gar um 458 Prozent, so ermittelte eine Studie der beiden 2018. Die am wenigsten verdienende Hälfte aller Polen dagegen sah ihre Einkommen um gerade einmal 31 Prozent wachsen.

Millionen sind zum Geldverdienen ins Ausland gegangen

Polens Bevölkerung altert und schrumpft, gerade auch in den Dörfern. Aus dem Dorf Chotcza, wo mehr als zwei Drittel der Einwohner noch Bauern sind, zogen viele Frauen in die Stadt, um dort Arbeit zu suchen. Nicht wenige sind wie Millionen Polen zum Geldverdienen nach England, Deutschland, Holland oder in skandinavische Länder gegangen. Trotzdem sind noch immer rund zehn Prozent der Dorfbewohner arbeitslos.

Eine Debatte über Ungleichheit wird in Polen allerdings kaum geführt. Denn die nationalpopulistische Regierung hat Geld gerade auch für Menschen mit geringerem Einkommen lockergemacht. Deshalb wählen viele Polen die Konservativen nicht nur wegen ihres Weltbildes, sondern auch, weil sie ihnen deutlich mehr Geld in die Kasse gebracht hat: Ein Kindergeld von umgerechnet mehr als 100 Euro vom zweiten Kind an bedeutete für viele Familien ein erhebliches Plus. Und da in Polen im Herbst gewählt wird, gibt es nun auch noch Kindergeld für das erste Kind. Rentner bekommen Sonderrenten, Studenten freie Zulagen. Ökonomen stellen einhellig die positive Wirkung dieser Transferzahlungen fest, kritisieren aber, dass ihre Finanzierung auf schwachen Füßen steht und künftige Generationen die Zeche zahlen werden.

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Quelle:
SZ vom 13.07.2019
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