Süddeutsche Zeitung

Europa und das Referendum in Griechenland:Angst vor den Schockwellen

Ein Referendum verunsichert Europa: Weil Premier Papandreou die Griechen zum Euro-Rettungspaket befragen will, rufen Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy zum Krisentreffen. Doch was können die mächtigsten Männer und Frauen Europas überhaupt tun? Welche Folgen hätte ein Nein der Griechen? Und über was wird eigentlich genau abgestimmt? Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Referendum der Griechen.

Wolfgang Jaschensky

Nimmt man die Geschwindigkeit einer politischen Reaktion auf eine Krise als Indikator für den Ernst der Lage, dann wird klar: Europa hat ein gewaltiges Problem. Selten zuvor wurde ein Krisentreffen so schnell einberufen, wie nach der Ankündigung des griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou, sein Volk in einem Referendum über die Beschlüsse des Euro-Gipfels in Brüssel abstimmen zu lassen. Die Staats- und Regierungschefs der Eurozone hatten einen Schuldenschnitt und weitere Hilfen für Griechenland beschlossen.

Ziemlich genau 48 Stunden nach Papandreous Ankündigung treffen sich Deutschland, Frankreich und die Spitzen von EU und IWF an diesem Mittwoch in Cannes und beraten darüber, was das Referendum für die Rettung Griechenlands, die Zukunft des Euros, ja die Zukunft Europas bedeutet. Dabei ist noch nicht einmal sicher, dass es überhaupt zu diesem Referendum kommt und zu welcher Frage sich die Griechen äußern sollen. Der Weg dorthin ist auf jeden Fall sehr hart: Papandreou muss an diesem Freitag im Parlament eine weitere Vertrauensfrage überstehen. Auch bei einem Erfolg bleibt offen, wie es weiter geht. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Um was geht es bei der Vertrauensfrage?

Die Worte des Regierungschefs waren eindeutig. "Wir vertrauen den Bürgern. Wir glauben an ihr Urteilsvermögen. Wir glauben an ihre Entscheidung." Schon lange vor Ankündigung des Referendums hatte Papandreou sein politisches Schicksal an die Verabschiedung des Schuldendeals mit der Europäischen Union geknüpft. Nun sollen die Griechen diesen Kurs bestätigen. Davor muss der Premier aber erst die Abgeordneten seiner Partei Pasok auf seinen Kurs zwingen. Denn neben den massiven Protesten der Straße und dem Widerstand der Opposition sieht sich Papandreou mit wachsendem Unmut innerhalb seiner sozialdemokratischen Partei konfrontiert. Papandreous einst bequeme Mehrheit von 160 Mandaten ist langsam zusammengeschmolzen - momentan stehen offiziell 152 der 300 Abgeordneten hinter ihm.

Wie in Deutschland ist die Vertrauensfrage die schärfste politische Waffe des Regierungschefs: Die Abgeordneten wissen, dass ein Nein das Ende der bestehenden Regierung bedeutet. Wenn in der Nacht auf Samstag die Abgeordneten sich im Athener Parlament erheben, um mit "Nai" (Ja) oder "Oxi" (Nein) zu stimmen, steht Papandreous politische Zukunft auf dem Spiel. Seine Regierung benötigt mindestens 151 Mal "Nai", um die Vertrauensabstimmung zu überstehen. Wenn die Opposition geschlossen gegen Papandreou stimmt, darf sich nur einer der 152 Pasok-Parlamentarier gegen den Premier wenden.

Was passiert, wenn Papandreou die Vertrauensfrage verliert?

Für diesen Fall bestehen zwei Optionen.

Möglichkeit 1: Die Regierung tritt zurück und Staatspräsident Karolos Papoulias ruft Neuwahlen aus. Bis dahin übernimmt eine Interimsregierung für maximal 30 Tage die Geschäfte. Sollte es bei diesen Wahlen ein klares Mandat für eine Partei geben, würde sie die Bildung einer neuen Regierung versuchen. Sollte keine Partei die absolute Mehrheit erreichen, würde Staatspräsident Papoulias die Parteichefs nacheinander mit einem jeweils dreitägigen Sondierungsmandat beauftragen.

Möglichkeit 2: Es findet sich einen neue Koalition. Das ist aber unwahrscheinlich, denn Griechenlands mächtigste Oppositionspartei Nea Dimokratia hat bislang jede Zusammenarbeit mit Pasok abgelehnt und drängt seit Monaten auf Neuwahlen.

Wahrscheinlich fällt in beiden Fällen das Referendum aus. Nach einer Neuwahl wären mehrere Optionen offen: Nea Dimokratia würde aktuellen Umfragen zufolge stärkste Kraft, aber eine absolute Mehrheit deutlich verfehlen. Möglich wäre dann eine große Koalition mit Pasok oder eine Koalition mit kleineren Parteien. Experten gehen aber davon aus, dass Papandreou trotz der Widerstände in seiner Fraktion das Votum überstehen wird.

Wie überraschend kommt die Ankündigung eines Referendums?

Sicher ist, dass am Montag kaum jemand mit Papandreous Schritt gerechnet hat. Dies verrät schon die Talfahrt an den internationalen Börsen nach der Ankündigung der Referendumspläne. Nach dem Brüsseler EU-Gipfel vergangene Woche hatten schließlich alle Beteiligten aufgeatmet - und selbst Pessimisten, die an keinen Durchbruch glauben wollten, hielten fest, dass Europa erst einmal Zeit gekauft hat. Entsprechend fühlen sich vor allem die Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder vor den Kopf gestoßen, die den Schuldenschnitt und die Hilfen für Griechenland vergangene Woche als Erfolg gefeiert haben.

Merkels Sprecher Steffen Seibert machte nach der Kabinettssitzung deutlich, dass die Kanzlerin Papandreous Pläne "zur Kenntnis genommen" habe. Sie hätte es aber vorgezogen, wenn sie vorher informiert oder das Vorhaben auf dem EU-Gipfel vor einer Woche mitgeteilt worden wäre. Ähnlich deutlich wurde Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker: "Der griechische Ministerpräsident hat diese Entscheidung getroffen, ohne sie mit seinen europäischen Kollegen zu besprechen. Das bringt große Nervosität und große Unsicherheit zu der bereits bestehenden großen Unsicherheit."

Offenbar wussten auch in Athen bis zum letzten Augenblick nur wenige Papandreou-Vertraute von den Plänen. Warum der Premier sich nicht mit Merkel, Sarkozy, Juncker oder Kommissionspräsident José Manuel Barroso abgestimmt hat, ist unklar.

Allerdings berichteten griechische Medien bereits nach einem Treffen von Papandreou mit dem griechischen Staatspräsidenten Karolos Papoulias im Mai, dass der Premier über ein Referendum nachdenke. Im September wollte Finanzminister Venizelos eine Volksabstimmung nicht ausschließen. In Brüssel heißt es außerdem, Papandreou habe auch auf dem Gipfel vergangene Woche eine Volksabstimmung als Option genannt.

Wann findet das Referendum statt?

Im Dezember 1974 wurde in Griechenland letztmals ein Referendum abgehalten. Nach dem Zusammenbruch der Militärdiktatur votierten die Griechen für die Abschaffung der Monarchie. Referenden in Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik sind in der griechischen Verfassung nicht vorgesehen. In Artikel 44 steht, dass das Volk nur über "entscheidende, nationale Belange" befragt werden dürfe.

An dieser Einschränkung dürfte das Referendum allerdings nicht scheitern, schließlich wird kaum einer bezweifeln, dass es - egal wie die Frage konkret formuliert wird - weitreichende politische Folgen haben wird. Allerdings soll die Abstimmung vorraussichtlich frühestens im Januar 2012 stattfinden, wenn die Details des Brüsseler Schuldendeals ausgehandelt sind. Wenn sich die Situation in anderen kritischen Euro-Schuldenländern, allen voran Italien und Spanien, vor der Abstimmung in Athen dramatisch verschlechtert, könnte es dann schon zu spät sein.

Über was stimmen die Griechen in dem Referendum ab?

Das ist noch nicht klar. Im Prinzip geht es Premierminister Papandreou darum, sich den Segen für die Brüsseler Gipfelbeschlüsse zu holen. Finanzministers Venizelos stellte auch gleich klar, dass die Griechen erst abstimmen sollen, wenn die Einzelheiten des Schuldendeals ausgehandelt sind - ein Prozess, der sich bis Anfang des kommenden Jahres hinziehen dürfte.

Trotzdem ist es nicht zwingend, dass die Griechen die komplizierten Gipfelbeschlüsse zur Abstimmung vorgelegt bekommen. Finanzminister Venizelos deutete bereits an: "Die Bürger werden die Frage beantworten müssen: Sind wir für Europa, die Eurozone und den Euro?"

Das sieht auch Frankreichs Europaminister Jean Leonetti so: Die Frage müsse lauten "Wollt Ihr in der Euro-Zone bleiben oder nicht?", so Leonetti in einem Interview mit dem Fernsehsender LCI.

Eine Abstimmung über den Verbleib in der Eurozone hätte zwei Vorteile für die Regierung: Sie ist leicht zu verstehen - und sie erhöht die Erfolgschancen.

Wie werden die Griechen abstimmen?

Eine Prognose wagt derzeit kaum ein griechischer Demoskop. Bis Januar kann in den Meinungsumfragen noch viel passieren. Klar ist allerdings, dass die Fragestellung beim Referendum einen erheblichen Einfluss haben wird. Eines der führenden griechischen Meinungsforschungsinstitute hat am 27. Oktober in einer repräsentativen Umfrage herausgefunden, dass die absolute Mehrheit (58,9 Prozent) der Griechen die Gipfel-Beschlüsse als "negativ" oder "eher negativ" ablehnt. Auf die Frage, wie sie bei einer Volksabstimmung zum zweiten Hilfspaket abstimmen würden, sagten 45,5 Prozent der Teilnehmer, dass sie "dagegen" stimmen würden.

Deutlich freundlicher für Papandreou fielen allerdings die Antworten auf eine dritte Frage aus: Soll Griechenland in der Eurozone bleiben oder die Drachme einführen? Hier sprach sich die überwältigende Mehrheit von 72,5 Prozent der Befragten dafür aus, den Euro zu behalten. Wenn es Papandreou gelingt, das Referendum zu einer Abstimmung über den Euro zu machen, dann könnte der von vielen als Verzweiflungstat gescholtene Schachzug zu einem Befreiungsschlag werden.

Welche Folgen hätte ein Nein der Griechen?

Gläubiger können keinen Insolvenzantrag für einen Staat stellen und es gibt keine Institution, die einen Staat offiziell für bankrott erklären könnte. Dennoch droht Griechenland genau das. Staatspleiten sind auch nicht ungewöhnlich: 1998 traf es Russland, 2002 Argentinien und 2008 Island. Bei einem negativen Ausgang des Referendums drohen alle Vereinbarungen mit der Troika zu platzen. EU-Diplomaten halten es für "schwer vorstellbar", nach einem "Oxi" ein weiteres Hilfsprogramm für die Hellenen zu schnüren.

Griechenland bekäme keine neuen Kredite mehr, könnte keine Renten und keine Staatsbediensteten mehr bezahlen. Garantien aus dem ersten Rettungspaket würden dann fällig - auch die Bürgschaften der Bundesregierung. Unklar ist, ob Griechenland dann aus der Eurozone und der EU fliegt, oder trotz Insolvenz in dem Währungsraum bleiben kann - und will.

In Brüssel schockiert der Gedanke an eine ungeordnete Pleite viele Diplomaten. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung fürchtet man Schockwellen in der Euro-Zone, da Anleger sehen würden, dass der Euro-Klub seine Probleme nicht lösen kann. Für die Regierung in Rom, die ihre letzte Anleihe ohnehin nur mit Rekordzinsen verkaufen konnte, würde es unter Umständen unmöglich, weitere Schulden zu refinanzieren. Spanien und Portugal, die sich mühen, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen und die Wirtschaft anzukurbeln, würden wohl leichte Beute für Spekulanten - vorausgesetzt, diese richten ihre Aufmerksamkeit nicht vorher schon auf Paris.

Was können Merkel, Sarkozy und Co. auf dem Krisengipfel in Cannes überhaupt tun?

Nicht viel. Keiner der Beteiligten dürfte ein Interesse daran haben, von den Beschlüssen des Brüsseler EU-Gipfels zurückzuweichen oder dürfte gar bereit sein, schon jetzt darüber hinausgehende Zusagen zu machen. Darauf lässt auch die deutsch-französische Erklärung schließen, die nach einem Telefonat von Merkel und Sarkozy veröffentlicht wurde. Man sei sich einig, dass die Einigung beim Euro-Gipfels "Griechenland die Rückkehr zu einem dauerhaften Wachstum erlaubt", heißt es darin. Deutschland und Frankreich wünschten, "dass in Abstimmung mit ihren europäischen Partnern und dem IWF bald ein Zeitplan zur Umsetzung dieser Vereinbarung angenommen wird".

Frankreichs Premierminister François Fillon fordert die Griechen auf "schnell und unzweideutig" zu sagen, ob sie weiter dem Euro-Raum angehören wollten. Er fügte hinzu: "Das griechische Volk muss daran erinnert werden, dass man nicht in Europa sein kann, um von seiner Solidarität zu profitieren, und außerhalb Europas, um der Disziplin zu entkommen, die für jedes Land gilt".

An dem Treffen am Mittwochabend sollen neben Merkel und Sarkozy EU-Kommissionschef José Manuel Barroso, EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker teilnehmen. Auch die Präsidentin des IWF, Christine Lagarde, ist eingeladen. Der neue EZB-Präsident Mario Draghi hat sein Kommen bereits abgesagt. Für Mittwochabend wurden außerdem Papandreou und Venizelos nach Cannes zitiert, um sich zu erklären.

Mit Material von dpa/Reuters/AFP

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