Europa und al-Qaida:Freiheit in Zeiten des Terrors

Die offene Gesellschaft kann ihre Feinde nicht bekämpfen, indem sie sich selbst verschließt. Sie wird dem Terror standhalten, sofern sie ihren Werten treu bleibt.

Die Schockstarre hat nicht lange angehalten. Schon bald nach dem Massaker von Madrid flüchteten sich viele, Politiker wie Bürger, in den Aktionismus, um sich ein wenig zu beruhigen.

Sie fordern nun, sofort, neue Ämter und Institutionen, einen Europäischen Geheimdienst etwa oder einen Anti-Terrorbeauftragten der EU. So als ob mit grandiosen Namen auch die Gefahr benannt und gebannt werden könnte.

Andere dagegen schwelgen in depressiven Szenarien. Sie sehen al-Qaida, diesen jüngsten Menschheitsfeind, unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Vom Sieg des Terrors ist die Rede, der Untergang des Abendlandes wird - wieder einmal - beschworen, und in Amerika ziehen so notorische Analytiker wie Robert Kagan Vergleiche mit der Bedrohung der Welt durch Adolf Hitler.

Andere Gefahren überstanden

So verstörend die Terroranschläge auch sind - derartiger Pessimismus ist grundlos. Die westlichen Demokratien haben ganz andere Stürme überstanden und sich gegen den Totalitätsanspruch von Faschismus wie Kommunismus erfolgreich verteidigt.

Sie haben Millionen Opfer beklagt, Städte im Bombenhagel zerbersten sehen, Abermilliarden in die Rüstung gesteckt und die gesamte Energie ihrer Gesellschaften in den Überlebenskampf geworfen. Am Ende haben sie gewonnen und sind für ihre Feinde zum Vorbild geworden.

Osama bin Laden hat nicht die Zerstörungskraft Adolf Hitlers und Josef Stalins. Sein Terrorreich kann jeden Einzelnen treffen - im Bürohochhaus, auf dem Jahrmarkt, in der U-Bahn -, doch es vermag nicht, alle gemeinsam niederzuringen.

Auf eines aber mag der Terrorpadron spekulieren: Dass die Menschen im Westen in Hysterie verfallen, der Sicherheit ihre Freiheit opfern und sich so am Ende selbst besiegen.

Harte und schnelle Antwort notwendig

Gewiss: Europa muss die Herausforderung schnell und hart beantworten. Aber es sollte dies besonnen tun, jenseits von Aktionismus oder Depression. Nur so wird es im Anti-Terror-Kampf die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit halten.

Dabei ist klar: Absolute Freiheit kann es nicht geben, schon gar nicht in Zeiten großer Bedrohung. Die Bürger werden also noch mehr Beschränkungen hinnehmen müssen, bei Flughafen-Kontrollen etwa.

Klar sollte aber genauso sein, dass es auch absolute Sicherheit nicht gibt, schon gar nicht im demokratischen Rechtsstaat. Die Terrorgefahr lässt sich nur verringern, nicht aber aufheben.

Lernen, mit dem Risiko umzugehen

So brutal es klingt: Die westlichen Demokratien werden auch künftig von Terrorattacken heimgesucht werden. Sie müssen lernen, mit diesem Risiko zu leben, ohne sich nach jedem Anschlag selbst in Frage zu stellen und den Sieg des Terrorismus an die Wand zu malen.

Und die Bürger müssen lernen, dass das Gegenstück ihrer Freiheit die Gefahr ist. Im Straßenverkehr ist dieser Zusammenhang akzeptiert. Für die Bewegungsfreiheit nimmt die Gesellschaft Jahr für Jahr Opfer in Kauf. Für die bürgerlichen Freiheiten wird sie dies auch tun müssen. Größtmögliche Sicherheit könnte es nur im totalen Überwachungsstaat geben.

Wie also können die Europäer mehr Sicherheit gewinnen ohne ihre Freiheiten zu verlieren? Zunächst einmal, indem sie auf Aktionen wie den Irak-Krieg verzichten. Der Bagdad-Feldzug hat die Terrorgefahr nicht vermindert sondern erhöht. Solche Fehler kann sich der Westen nicht mehr leisten.

Viel zu verbessern gibt es dagegen bei der Inneren Sicherheit, über die die EU-Minister und Regierungschefs in den kommenden Tagen beraten wollen.

Exisitierendes Werkzeug besser einsetzen

Dabei müssen keine neuen Instrumente geschaffen werden - es würde reichen, die alten besser zu nutzen. Die Sicherheitspolitiker in Europa ähneln nämlich Heimwerkern, die sich ständig neues, glänzendes Werkzeug kaufen, um es dann im Keller vergammeln zu lassen.

Schon heute gibt es in Den Haag eine europäische Polizeibehörde, Europol, und den Vorläufer einer europäischen Staatsanwaltschaft, Eurojust. Nur: Die beiden dürfen keine Daten austauschen, weil die Rechtsgrundlage dafür fehlt. Bei der Terrorbekämpfung in Europa weiß die linke Hand also nicht, was die rechte tut. Und das ist nur ein Beispiel.

Gefördert werden müssten gemischte Ermittlergruppen mit Beamten aus vielen Staaten, die gemeinsam gegen global agierende Terroristen vorgehen. Und gefördert werden müsste eine bessere Ausstattung und Zusammenarbeit der Geheimdienste.

Es darf nicht sein, dass etwa Eifersüchteleien zwischen französischen und angelsächsischen Diensten den Erfolg erschweren. Mehr Macht für die Dienste muss freilich auch bedeuten: mehr Kontrolle durch die Parlamente. Angst vor den Terroristen und Appeasement-Politik sollten Europa im Abwehrkampf gewiss keine Grenzen setzen.

Bürgerrechte als Grenze

Die Bürgerrechte aber markieren eine rote Linie, an die sich die EU-Staaten halten müssen. Europa darf keine Verdächtigen im rechtsfreien Raum halten, wie die Amerikaner das auf Guantanamo tun.

Es darf keine Sondertribunale errichten, vor denen Verteidigerrechte entwertet werden. Und es darf Muslime nicht unter Generalverdacht stellen. Die offene Gesellschaft kann ihre Feinde nicht bekämpfen, indem sie sich selbst verschließt. Sie wird dem Terror standhalten, sofern sie ihren Werten treu bleibt.

Sollten die Demokratien aber zu Polizeistaaten werden, dann hätte al-Qaida tatsächlich gesiegt.

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