EU:Mailand oder Madrid, Hauptsache Solidarität

Special session of EU Parliament on coronavirus disease (COVID-19) in Brussels

Ursula von der Leyen schlägt EU-Hilfen für Kurzarbeitergeld-Modelle vor.

(Foto: Francois Lenoir/Reuters)
  • Der Streit um sogenannte Corona-Bonds könnte in der EU zu tiefen Rissen zwischen Nord und Süd führen.
  • EU-Kommissionschefin von der Leyen versucht zu vermitteln. Ein neuer Vorschlag sieht gemeinsame Schulden vor, die begrenzt und zeitlich befristet sind.
  • Die reichen Länder des Nordens sperren sich bislang gegen eine Vergeinschaftung von Schulden.

Von Björn Finke, Brüssel

Die Kommissionspräsidentin macht keinen Hehl daraus, wer die Hauptadressaten ihrer Ansprache sind: Am Mittwoch kündigt Ursula von der Leyen in einer Videobotschaft EU-Mittel für die nationalen Kurzarbeitergeld-Systeme an. Sie erwähnt in dem gut dreiminütigen Beitrag jeweils dreimal Italien und Spanien als Beispiele für Länder, die profitieren würden. Dazu einmal "die Regionen um Mailand oder Madrid", in denen viele normalerweise "starke und gesunde Firmen" unter der Corona-Pandemie litten. "Dank der Solidarität der Mitgliedstaaten" werde es Unterstützung geben, verspricht die deutsche Behördenleiterin.

An dieser Solidarität sind gerade in Italien und Spanien zuletzt ernste Zweifel aufgekommen. Schuld ist der Streit darüber, wie Finanzhilfen für hoch verschuldete und vom Virus besonders betroffene Länder aussehen sollen: etwa für die Regierungen in Rom und Madrid. Mit ihrer Kurzarbeitergeld-Idee und anderen Initiativen will von der Leyen den Ländern einen Ausweg aus diesem Streit aufzeigen. Denn der Disput vergiftet die Stimmung und lässt die EU in schwierigen Zeiten handlungsunfähig erscheinen.

Der EU-Topf für Kurzarbeitergeld könnte bis zu 100 Milliarden Euro umfassen, heißt es

So konnte sich ein Videogipfel der Staats- und Regierungschefs vorige Woche nicht auf Finanzhilfen einigen. Daher sollen am kommenden Dienstag die EU-Finanzminister Lösungen entwickeln. Existieren konsensfähige Ideen, soll ihnen schon in den Tagen darauf ein weiterer Videogipfel zustimmen. Die Minister werden auch von der Leyens Ankündigung zum Kurzarbeitergeld besprechen - das Vorhaben könnte ein Baustein für ein großes EU-Hilfspaket sein. Außerdem lässt die Kommissionspräsidentin gerade den Entwurf für den Sieben-Jahres-Haushalt von 2021 bis 2027 überarbeiten. Der neue EU-Etatplan soll ein Konjunkturpaket enthalten, von dem Länder wie Italien und Spanien besonders profitieren würden. Finanzstarke Staaten wie Deutschland und die Niederlande müssten dafür ihren Widerstand gegen ein üppigeres Budget aufgeben und höhere Beitragszahlungen in den Brüsseler Topf akzeptieren.

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Damit präsentiert von der Leyen Alternativen zu jenem Vorschlag, der für den Streit und die Blockade unter den Mitgliedstaaten verantwortlich ist: Einige Regierungen, darunter die von Italien, Spanien und Frankreich, fordern die Ausgabe von gemeinschaftlichen EU-Anleihen. Die Einnahmen aus diesen sogenannten Corona-Bonds sollen die Mitgliedstaaten für den Kampf gegen die Pandemie und die Wirtschaftskrise nutzen. Für diese Schuldpapiere würden alle Länder zusammen haften, und weil auch finanzstarke Länder wie Deutschland und die Niederlande dahinter stünden, würden Anleger sie als sicher ansehen; die Zinsen wären niedrig. Allerdings lehnen es Regierungen wie die deutsche, niederländische und finnische ab, weitere Schulden in Europa zu vergemeinschaften. Sie wollen nicht für andere Regierungen mithaften. Italien und Spanien klagen, diese Haltung sei unsolidarisch.

An diesem Disput scheiterte der Videogipfel. Die Auseinandersetzung reißt alte Gräben zwischen Nord und Süd, zwischen sparsamen und hoch verschuldeten Ländern wieder auf - jene Gräben, die schon die Überwindung der Finanz- und Staatsschuldenkrise erschwert haben.

Deswegen will von der Leyen Staaten wie den Niederlanden und Deutschland andere Wege eröffnen, ihre Solidarität zu beweisen. Das Kalkül: Wer keine vergemeinschafteten Schulden will, soll dann mehr in den EU-Haushalt für 2021 und die Folgejahre einzahlen, zugunsten schwächerer Staaten wie Italien. Oder diese Regierungen helfen der Kommission, Unterstützung für Kurzarbeitergeld zu leisten.

Ein EU-Diplomat aus einem der Länder, die bisher auf einen sparsamen Haushalt drängen, sagt, Forderungen nach zusätzlichen Mitteln gegen die Corona-Krise würden sicher "mit Wohlwollen betrachtet". Ein anderer EU-Diplomat aus diesem Lager sagt, man werde sich alle Vorschläge anschauen, kein Instrument sei unmöglich - "bis auf Corona-Bonds".

Daneben werden die Finanzminister bei ihrer Schalte weiter an einem Hilfsprogramm des Euro-Rettungsschirms ESM arbeiten. Der Europäische Stabilitätsmechanismus soll demnach Kreditlinien im Wert von bis zu zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zur Verfügung stellen. Strittig ist, an welche Auflagen die Darlehen geknüpft sein sollen. ESM-Chef Klaus Regling sagt, als Bedingung könnte genügen, dass das Geld wirklich gegen die Pandemie eingesetzt werde. Doch die italienische Regierung lehnt Konditionen generell ab und findet, dass ein ESM-Angebot nicht ausreiche an Solidarität. Außerdem sollen die Minister diskutieren, wie die Europäische Investitionsbank EIB, das Förderinstitut der EU, stärker eingespannt werden kann.

Von der Leyens Initiative für Kurzarbeitergeld sieht vor, dass die EU Staaten Darlehen gewährt, wenn deren Ausgaben für Kurzarbeitergeld und ähnliche Programme rasant steigen. Der 32-seitige Verordnungsentwurf, welcher der Süddeutschen Zeitung vorliegt, betont, dass dies ein zeitlich befristetes Hilfsinstrument sei. Der Unterstützungstopf soll bis zu 100 Milliarden Euro umfassen. Um ihn zu füllen, wird die Kommission Anleihen herausgeben und braucht dafür Bürgschaften der Mitgliedstaaten - Ergebnis wäre also auch hier eine Form von gemeinsamen europäischen Schulden. Ein hochrangiger EU-Diplomat aus einem Land, das gegen Corona-Bonds ist, sagt aber, dieses Vorhaben haben bessere Chancen, da es um weniger Geld und einen kurzen Zeitraum gehe. Ob von der Leyens Plan gelingt und ihre Vorschläge den Streit beenden, wird sich kommende Woche zeigen.

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