Donald Trump vollführt einen Seitenwechsel. In einem Schlagabtausch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij, mit dem er sich bis vor Kurzem noch in kooperativer Nähe zeigte, hat er diesen jetzt einen „Diktator“ genannt, der ohne Wahlen herrsche. Trump spielt darauf an, dass der demokratisch gewählte Selenskij mitten im Krieg keine weitere Präsidentschaftswahl abhalten lässt. Die ukrainische Verfassung verbietet allerdings auch eine Wahl in Kriegszeiten. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte zur Äußerung Trumps dem Spiegel, es sei „falsch und gefährlich, Präsident Selenskij die demokratische Legitimation abzusprechen“.
Der US-Präsident beschleunigt damit weiter den Gang der Weltgeschichte und drängt die Europäer zum schnellen Umdenken und Reagieren. Aus Riad, wo Amerikaner und Russen über ein Ende des Kriegs in der Ukraine verhandelten, waren in den vergangenen Tage schon Signale in diese Richtung gekommen, die gleich auch Anzeichen für eine neue Zeit sind.
Nicht nur die Ukraine ist in dieser ersten Phase ausgeschlossen, sondern auch Europa. Und das ist für beide ein Affront. Sowohl Kiew als auch Brüssel fürchten, Donald Trump verscherble die Ukraine für einen möglichst schnellen Deal mit Wladimir Putin – und zu dessen Konditionen. „Bis Monatsende“, sagte Trump jetzt, wolle er sich mit Putin treffen. Das Tempo ist atemberaubend.
Dass die Ukraine nicht dabei ist, hält Trump für normal, er macht sie sogar verantwortlich für das Andauern des Krieges: „Ich habe heute gehört: Oh, wir waren nicht eingeladen. Nun, ihr seid seit drei Jahren dabei“, sagte Trump höhnisch. Der Krieg, fügte er hinzu, sei nur deshalb nicht schon lange beendet, weil die Ukrainer es versäumt hätten, einen Deal mit den Russen zu machen. In Kiew gebe es „eine Führung, die einen Krieg zugelassen hat, den es nie hätte geben dürfen“. Damit war Selenskij gemeint. Jetzt müsse „der Job“ erledigt werden. Ohne Selenskij, sollte das heißen. Selenskij antwortete darauf: „Trump lebt in einer Welt der russischen Desinformation. So löst er Putin aus der Isolation.“
Am Mittwoch folgte nun die Antwort Trumps. Er warf Selenskij vor, Wahlen abzulehnen und damit ein „Diktator“ zu sein. Selenskij habe sein Land zerstört, Millionen seien sinnlos gestorben, schrieb Trump auf seinem Kurznachrichtendienst Truth Social. Selenskij müsse schnell handeln, „sonst wird er kein Land mehr übrig haben“. Eine neue Eskalationsstufe scheint erreicht zu sein. Am Mittwochabend stellten jedoch auch die Vereinten Nationen klar: „Präsident Selenskij ist nach den ordnungsgemäß abgehaltenen Wahlen im Amt“, sagte der Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres, Stéphane Dujarric, in New York.
Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius appellierte an die Einigkeit der Europäer. „Man muss vor allen Dingen aufhören, dem Pacemaker im Weißen Haus zu überlassen, wie wir zu reagieren haben“, sagte er, man sei schließlich jemand. Ursula von der Leyen, die Chefin der EU-Kommission, rechnete Washington vor, dass Europa bereits 135 Milliarden Euro investiert hätte in die Verteidigung der Ukraine. Es könne nicht sein, dass die Europäer nicht mit am Tisch säßen, wenn über die Zukunft der Ukraine verhandelt würde. Das war ein Versuch, Trump mit einem Argument zu konfrontieren, das er gut versteht: über das Geld.
Die EU verabschiedet ein weiteres Sanktionspaket gegen Russland
Allerdings werden die Amerikaner immer und auch zu Recht der Meinung sein, sie leisteten seit achtzig Jahren sehr viel für Frieden und Sicherheit in Europa: mit ihren auf dem Kontinent stationierten Truppen, heute etwa 90 000 Soldaten, und mit ihrem Nuklearschirm. Nun fordern sie, dass die Europäer ihre eigene Wehrbarkeit hochfahren. Vor ein paar Tagen sagte Pete Hegseth, der neue US-Verteidigungsminister, die militärische Präsenz der USA sei „nicht für immer“. Trump selbst spielte diese Aussage etwas herunter: Er habe nicht vor, alle Basen zu schließen, sagte er.
In Europa diskutiert man mit neuer Dringlichkeit darüber, wie sich die eigene Verteidigung sehr schnell und stark ausbauen lässt. Das kostet viel Geld. Nun wächst in der EU ein Konsens darüber, dass die Mitgliedsländer ihre Rüstungsausgaben aus der Defizitrechnung lösen können. So könnten auch hoch verschuldete Staaten aufrüsten, die die Kriterien des EU-Stabilitätspakts gerade nicht erfüllen. Zum Beispiel Frankreich.
Emmanuel Macron, der französische Präsident, führte am Mittwoch seine Bemühungen fort, Europa in dieser schwierigen Phase zu versammeln und zu vereinen. Nach dem Arbeitstreffen vom Montag in Paris, das als Auftakt eines Prozesses angekündigt war und zu dem nur acht ausgewählte Regierungschefs und die Spitzen von Nato und EU geladen waren, organisierte er nun einen weiteren Gipfel. Teilgenommen haben auch Länder, die beim ersten Termin übergangen worden waren, obschon sie die Ukraine unterstützen, und sich deshalb beklagten: unter anderem Rumänien, die Tschechische Republik, Norwegen, Schweden, Finnland, Belgien, Griechenland, die baltischen Staaten und Kanada.
Unter anderem ging es bei der Videoschalte am Mittwoch wieder um die Frage, wer und in welcher Form Bodentruppen für die Ukraine bereitstellen würde, wenn es dann mal einen Frieden zu sichern gäbe. Der erste Gipfel hatte keine Einigung dazu gebracht: Die Franzosen und die Briten zeigten sich bereit, während die Deutschen, die Polen und die Italiener Zurückhaltung anmahnten. Weitere Gipfel sollen folgen. António Costa, der EU-Ratspräsident, erwägt die Einberufung eines EU-Sondergipfels zur Ukraine.
Um etwas politische Unabhängigkeit zu demonstrieren, verabschiedeten die Europäer unterdessen ein weiteres Sanktionspaket gegen Russland, das 16. seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor drei Jahren. Die USA sollen verstehen, dass Europa weltpolitisch weiterhin auch autonom agieren kann, unabhängig von Trumps Agenda.