Europa:Junckers Einknicken bei Ceta ist für die EU eine Katastrophe

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Demokratie ist immer wieder Thema bei Demonstrationen gegen die Freihandelsabkommen der EU (Bild von 2014). (Foto: dpa)

Die EU kuscht mit der Ceta-Entscheidung vor ihren Gegnern und kriecht wieder geschlagen vom Feld. Das ist viel mehr als eine weitere Niederlage.

Kommentar von Stefan Ulrich

Plötzlich ist die Gelegenheit da. Wenige Tage, nachdem Großbritannien der Europäischen Union eine Abfuhr erteilt hat, können sich die Europäer revanchieren, indem sie zeigen: Wir sind demokratisch. Wir handeln transparent. Wir achten unsere Gesetze. Doch was geschieht? Die EU verpasst die Gunst der Stunde, kuscht vor ihren Gegnern und kriecht wieder geschlagen vom Feld. Diesmal ist es mehr als eine weitere Niederlage. Es ist fast schon eine Katastrophe.

Dabei ging es vielversprechend los. Die Juristen der Kommission in Brüssel kamen zu dem Ergebnis, für das geplante Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta) sei allein die Europäische Union zuständig. Demnach wird der Vertrag von der Kommission mit Kanada ausgehandelt. Sodann müsste ihn der Ministerrat billigen, in dem die Regierungen der 28 Mitgliedsländer vertreten sind. Schließlich entscheidet das Europaparlament über das Abkommen. Dagegen bräuchten nicht auch noch alle 28 Parlamente der Staaten vom polnischen Sejm bis zu den spanischen Cortes Generales zustimmen.

Die Kommission befindet, dass nur die EU zuständig - dabei muss sie bleiben

Als Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dies mitteilte, wurde er von den Empörten hinweggebrüllt. Neben Nationalisten, Globalisierungsgegnern oder EU-Verächtern schrien auch viele Politiker mit, die sich als überzeugte Europäer verstehen. Unerhört sei es, wie dreist "Brüssel" die nationalen Parlamente ausschalte und die Bürger hintergehe. Nicht einmal die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stellte sich energisch hinter Juncker, um so Europas Institutionen zu verteidigen. Ihr Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) eiferte gar, die EU-Kommission handle "unglaublich töricht".

Und was tat jetzt Juncker, der Herzblut-Europäer? Er knickte ein und stimmte entgegen seiner Überzeugung zu, dass alle nationalen Parlamente faktisch ein Vetorecht gegen den Vertrag erhalten.

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Nun ist es unter Europarechtlern umstritten, ob Ceta wirklich nur in die EU-Kompetenz fällt. Und in der Sache kann man mit guten Argumenten für oder gegen das Handelsabkommen sein. Auch gibt die Globalisierung, so wie sie abläuft, genügend Anlass zur Kritik. Nur: Wenn die Kommission zu dem Schluss kommt, für Ceta sei ausschließlich die EU zuständig - die gemeinsame Handelspolitik gehört immerhin zu ihrem Markenkern -, so muss sie darauf pochen, dass entsprechend verfahren wird. Dann ist das Europaparlament das richtige Forum, in dem über Ceta gestritten und entschieden wird. Dann sollten nationale Parlamente kein Mitentscheidungsrecht erhalten.

Die Empörten finden das undemokratisch. Wieso? Das EU-Parlament mit seinen 751 Abgeordneten ist direkt von den Bürgern gewählt. Es repräsentiert die Menschen aus 28 Nationen und unterschiedlichsten Lagern. Hier sitzen Europa-Enthusiasten und EU-Hasser, Globalisierer und deren Gegner, Protektionisten und Neoliberale. Sie befassen sich qua Wählerauftrag intensiv mit der Europapolitik. Sie können der Kommission entgegentreten und Ceta abschmettern - oder annehmen. Falls den Bürgern das missfällt, so haben sie alle Macht, um bei den nächsten Europawahlen für eine andere Mehrheit im Parlament zu sorgen.

Das mit Leidenschaft umstrittene Ceta-Abkommen wäre das ideale Thema, um den Bürgern zu verdeutlichen, wie wichtig das Europaparlament ist. Und um zu demonstrieren, dass es "bei denen da in Brüssel" auch transparent zugehen kann: Die Kommission verhandelt, Rat und Parlament entscheiden, der Bürger hat bei der Wahl das letzte Wort. So würde jedem klar, wer welche Verantwortung trägt.

Nun aber haben die Brüssel-Kritiker erreicht, was sie ständig anprangern: Es wird vernebelt, wer in Europa für was Verantwortung trägt. Die Verteilung der Kompetenzen zwischen der EU und ihren Mitgliedern, wie sie die Grundverträge festschreiben, wird verwischt.

Zudem werden wahrscheinlich die meisten Klauseln von Ceta für einstweilig wirksam erklärt, lange bevor die nationalen Parlamente entschieden haben. Das wird Verwirrung und Wut vieler Bürger über Europa steigern. Am Ende könnte ein Nein des Regionalparlaments im belgischen Wallonien das Abkommen blockieren, selbst wenn alle anderen Parlamente und das Europaparlament dafür sein sollten. Wäre das ein Sieg der Demokratie?

Womöglich geht es manchen - wohlgemerkt nur manchen - Kritikern gar nicht wirklich um Demokratie, sondern darum, die EU zu vernichten. Sie kommen voran: erst der Brexit, jetzt der Ceta-Streit. Die Europafreunde bis hin zum Kommissionspräsidenten sind offenbar bereits so eingeschüchtert, dass sie verdruckst das Feld räumen. Damit fachen sie den Furor ihrer Gegner noch weiter an. Das ist unglaublich töricht.

© SZ vom 07.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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