Europa:In der Flüchtlingskrise ist es um Merkel einsam geworden

BRUSSELS EU TURKEY SUMMIT

Beim EU-Türkei-Gipfel schütteln sich der griechische und der türkische Premier die Hand - unter den Blicken von Merkel und Hollande.

(Foto: AFP)
  • Angela Merkel ist wegen ihrer Flüchtlingspolitik in Europa isoliert.
  • Die fehlende europäische Rückhalt für die Kanzlerin hat auch mit Deutschlands Politik in der Griechenland-Krise zu tun.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Sie kann es noch. In dieser Woche hat Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem britischen Premierminister David Cameron telefoniert. Danach war Camerons Plan vom Tisch, den "besseren Deal" für Großbritannien im Eiltempo durchzusetzen. Schon beim EU-Gipfel im Dezember wollte Cameron den Staats- und Regierungschefs der anderen 27 Mitgliedstaaten weitreichende Zugeständnisse abringen.

Nach dem Telefonat verlautete aus London, dem Premierminister komme es auf die "Substanz" an. Er erwarte keine Einigung noch im Dezember. Die gute Nachricht aus Merkels Sicht ist, dass sie den Briten von seinem waghalsigen Vorhaben abbringen konnte. Die schlechte: Offenbar war Cameron davon ausgegangen, Merkel habe ganz andere Sorgen.

Das Krisenjahr 2015 hat Merkel geschwächt

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Es hat sich etwas verändert im europäischen Machtgefüge. Seit Jahren laufen die Fäden bei der Kanzlerin zusammen, niemand im Kreis der Staats- und Regierungschefs ist so lange im Geschäft wie sie. In der Flüchtlingspolitik aber ist es ihr nicht gelungen, die EU hinter sich zu versammeln. Und die Angriffe auf Merkel aus den heimischen Reihen blieben auch den europäischen Partnern nicht verborgen. Das Krisenjahr 2015 hat die Position Merkels geschwächt.

In Deutschland herrscht Frust über die mangelnde Solidarität der Osteuropäer, doch das Problem geht viel weiter. Drei Fünftel aller Franzosen lehnen laut Umfragen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge ab. Der rechtsextreme Front National, aber auch führende Politiker der konservativen Republikaner kritisieren seit Wochen, Präsident François Hollande und die sozialistische Regierung würden sich zu wenig abgrenzen von Merkels Kurs. Hollande laufe "wie ein Herdentier" der Kanzlerin hinterher, heißt es. Vor den wichtigen Regionalwahlen an diesem Wochenende appellierten republikanische Politiker intern an die Schwesterpartei CDU, Merkel zu stoppen: "Die Kanzlerin riskiert unseren Ruin, ihre Politik treibt unsere Wähler in die Arme des Front National", warnte einer ihrer Europa-Experten.

Selbst die französische Regierung geht auf Distanz

Auch der Präsident und seine Regierung setzen sich von der Kanzlerin ab. Das zeigt die Klarstellung von Premier Manuel Valls, Europa "könne nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen - das ist unmöglich". Zwar werde Frankreich seine Zusage erfüllen, im Rahmen einer EU-Umverteilung 30 000 Flüchtlinge 2015 und 2016 aufzunehmen. Aber: "Mehr ist nicht möglich."

Wie wenig sich Merkel auf einstige Verbündete verlassen kann, belegen auch die klaren Worte von EU-Ratspräsident Donald Tusk in dieser Woche. Die Schwierigkeiten seien ihm bewusst, sagte Tusk: "Aber wir können vor unseren Verpflichtungen nicht davonlaufen. Auch Deutschland nicht." In Berlin fühlt man sich zu Unrecht ermahnt. Tut man nicht mehr als alle anderen, hat man nicht Hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen? Doch nicht nur Tusks Perspektive ist eine etwas andere. Merkel habe durch ihre Willkommenskultur ein ohnedies gigantisches Problem unbeherrschbar gemacht, glauben viele.

In Großbritannien heißt es, Merkel habe die Nerven verloren

Polens neue Ministerpräsidentin Beata Szydło erklärte, es sei keine Solidarität, wenn "bestimmte Staaten" - sprich: Deutschland unter Merkel - versuchten, Probleme zu exportieren, die sie "ohne Beteiligung anderer geschaffen haben". Obwohl die Wortmeldung von sehr weit rechts im EU-Spektrum kommt, steht sie für eine weit verbreitete Auffassung. "Das Problem lässt sich nicht mit unendlicher Großzügigkeit lösen", warnt ein britischer Diplomat. Die weniger Diplomatischen in London sagen, Angela Merkel habe offenbar schlicht die Nerven verloren.

Offene Kritik bleibt selten. Fast jeder weiß, wofür er Merkel bald wieder braucht. Ohne Kanzlerin kein Deal, das ist zum Beispiel Cameron klar. Merkels Ruf nach mehr Solidarität aber verhallt. Tusks Einschätzung, dass es für den von der EU-Kommission betriebenen und von Merkel geforderten permanenten Verteilmechanismus keine Mehrheit gibt, wird von vielen in Brüssel geteilt. Auch der Plan, Flüchtlinge aus der Türkei direkt in der EU anzusiedeln, findet wenig Anhänger.

Merkels Schwächung hat auch mit der Griechenland-Krise zu tun

Es ist einsam geworden um die Kanzlerin, und das hat eine Vorgeschichte. Unvergessen ist, mit welcher Härte die Bundesregierung im Sommer in der Griechenland-Krise gekämpft hat. Finanzminister Wolfgang Schäuble ventilierte einen zeitweisen Rauswurf der Griechen aus der Euro-Zone. Das hat etliche verärgert. Wenn Deutschlands Ruf nach Solidarität nun auf taube Ohren stoße, so habe das auch damit zu tun, sagen EU-Diplomaten.

Allerdings: Die Tatsache, dass Merkel geschwächt ist, führt nicht dazu, dass andere stärker werden. Das ähnelt der Lage in Berlin. Unter den Regierungschefs ist niemand in Sicht, der ihre Führungsrolle auch nur annähernd übernehmen könnte. Der EU-Botschafter eines wichtigen Mitgliedslandes hat es so auf den Punkt gebracht: "Wo sind die großen Europäer? Ich sehe keine."

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