Süddeutsche Zeitung

Europa:Gentiloni: SPD darf sich nicht verkriechen

Italiens sozialdemokratischer Premier appelliert im SZ-Interview an seine deutschen Parteifreunde, eine Regierung mit der Union zu bilden. An diesem Freitag bespricht er sich in Berlin mit Kanzlerin Merkel.

Von Oliver Meiler, Rom

Italiens Ministerpräsident Paolo Gentiloni fordert die Basis der SPD auf, einer Regierung mit der Union zuzustimmen. Vor seiner Reise nach Berlin, wo er sich an diesem Freitag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft, sagte der 63 Jahre alte Sozialdemokrat in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, er habe die Diskussionen in der SPD sehr nahe verfolgt. Er wisse, wie schwer es vielen deutschen Sozialdemokraten falle, erneut in eine große Koalition zu gehen: "Doch Europa braucht eine stabile deutsche Regierung", sagte er. Die politische Linke, wie er sie im Kopf habe, nehme die Regierungsherausforderung an. "Sie verkriecht sich nicht in ihrer eigenen Identität, in der Überzeugung, sie rette so ihre Seele."

Gentiloni sagte, dies sei umso wichtiger, als Europa eine beispiellos gute Konjunktur erlebe und stark wachsen könne, wirtschaftlich wie geopolitisch. "Es wäre ein Jammer, wenn wir ausgerechnet in dieser Phase zögerlich wären." Von einem Mittun der SPD verspricht man sich in Rom auch ein stärkeres soziales Bekenntnis und ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse des südlichen Europa.

Der Richtungsstreit in Italiens Sozialdemokratie ähnelt dem in Deutschland

Die Krise, sagte Gentiloni, sei überwunden. Es sei jetzt "Zeit für Expansion, für Investitionen, Infrastrukturen, für europäische Projekte". Dem vorgesehenen neuen Bundesfinanzminister Olaf Scholz ist Gentiloni erst einmal flüchtig begegnet: "Doch ich kenne seine Politik und seine Reformen des Arbeitsmarkts. Wir gehören derselben Denkschule an."

Die italienische Sozialdemokratie durchzieht ein ähnlicher Richtungsstreit wie die deutsche. Im vergangenen Jahr erlitt der Partito Democratico, dem Gentiloni angehört, eine Spaltung: Der postkommunistische linke Flügel hat sich gelöst und tritt bei den Parlamentswahlen am 4. März mit eigenen Kandidaten an. Den Sozialdemokraten droht daher eine empfindliche Niederlage. Gentiloni lobte die "schöne Debatte" in der SPD, wo es "eine spannende, vielleicht sogar beispielhafte Dialektik" gebe. Anders als in Italien würden die Kritiker aber nicht gleich aus der Partei austreten.

Vom linken Zerwürfnis profitieren die Rechte um Silvio Berlusconi und die Protestbewegung Cinque Stelle, die laut Umfragen stärkste Partei werden könnte. Unklar ist jedoch, ob überhaupt einer der drei großen Blöcke genügend Parlamentssitze gewinnen wird, um eine Regierungsmehrheit zu stellen. Am ehesten wird das der Rechten zugetraut, die es insgesamt auf 37 Prozent bringen könnte. Für eine Mehrheit braucht es aber wohl mindestens 40 Prozent der Stimmen. Deshalb ist auch in Italien von der Möglichkeit einer großen Koalition die Rede, die unter anderem Berlusconis bürgerliche Forza Italia mit den Sozialdemokraten zusammenbringen würde. Gentiloni sagte, man werde sich dann im Parlament die Zahlen anschauen.

Für ausgeschlossen hält der Premier, dass Italien eine populistische, europafeindliche Regierung bekommen könnte: "Unmöglich", sagte er im Interview und wechselte dafür kurz auf Deutsch. Für den Fall, dass sich auch in Italien Koalitionsverhandlungen hinziehen sollten oder Neuwahlen nötig werden, würde Gentiloni als geschäftsführender Regierungschef im Amt bleiben.

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Quelle:
SZ vom 16.02.2018/bepe
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