Europa :Genervt vom Stillstand

Europa : Frankreich blickt zunehmend irritiert auf Deutschland in Sachen Europa.

Frankreich blickt zunehmend irritiert auf Deutschland in Sachen Europa.

(Foto: AP)
  • Zentrale EU-Reformprojekte, die Frankreich und Deutschland gemeinsam voranbringen wollten, liegen derzeit auf Eis.
  • Der Grund sind Bedenken, die die deutsche Regierung an verschiedenen Punkten immer wieder einbringt.
  • Darüber reagiert man in Paris zunehmend genervt.

Von Cerstin Gammelin, Berlin, Leo Klimm, Paris, und Alexander Mühlauer, Brüssel

Vertagt. Wenn von den deutsch-französischen Beziehungen die Rede ist, läuft es immer wieder auf dieses Wort hinaus. Der gemeinsame Plan zur großen Euro-Reform, den Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf dem EU-Gipfel in zehn Tagen vorstellen wollten - vertagt. Die Vollendung der Bankenunion - vertagt. Auch die einheitliche Besteuerung von Unternehmen - vertagt. Abseits aller Freundlichkeiten herrscht zwischen Paris und Berlin Reform-Stillstand. Sobald es an die Inhalte geht, sind Macron und Merkel weit voneinander entfernt. Dabei wartet Europa auf einen deutsch-französischen Kompromiss, der im Lichte drohender italienischer Turbulenzen dringlicher ist denn je.

Beim Treffen der Euro-Finanzminister an diesem Montag ist die Tagesordnung lang, aber Beschlüsse sind, wie es Diplomaten ausdrücken, "nicht mehr vorgesehen". Es soll lediglich "eine Orientierungsdiskussion" geben, die vorgesehene Erarbeitung einer beschlussfähigen Vorlage für den EU-Gipfel in der übernächsten Woche ist abgesetzt. Man suche wirklich nach Gemeinsamkeiten, könne aber keine finden, heißt es in einer Hauptstadt. Es gibt zu allen anstehenden Fragen eine deutsche und eine französische Position - deckungsgleich sind sie nie.

Nicht einmal bei jenen beiden Reformen, die in der Euro-Zone am wenigsten umstritten sind, ist ein Kompromiss absehbar: Sowohl die Bankenunion als auch der geplante Europäische Währungsfonds lassen alte Konflikte wieder aufleben. Sobald es an irgendeine Form der Vergemeinschaftung geht, meldet Berlin Bedenken an. Und so stellt Merkel klare Bedingungen, bevor es zu einer Vollendung der Bankenunion kommt, deren Ziel eine gemeinsame Einlagensicherung ist. Die Kanzlerin will genaue Zahlen, wie die Risiken in den Büchern der Banken reduziert werden, bevor sie einer Risikoteilung zustimmt. Berlin will wissen: Was bedeutet Risikoabbau und wie wird er gemessen?

In Paris verfolgt man die deutschen Bremsmanöver mit zunehmender Ungeduld - und kommentiert sie mit gereiztem Unterton. Denn immer klarer wird, dass das ständige Vertagen im Kern nicht mit der schleppenden Regierungsbildung in Berlin zu tun hat, die zuletzt als Vorwand herhalten musste. Das deutsche Sicherheitsdenken empfinden die Franzosen geradezu als obsessiv. "Das Ziel vom Nullrisiko kann es nicht geben. Es gehört zum Wesen der Marktwirtschaft, dass auch mal Banken und Firmen pleite gehen", verlautet im Umfeld von Finanzminister Bruno Le Maire. Die Einlagensicherung sei jetzt "entscheidungsreif", auch bei der Letztsicherung (Backstop) für den Bankenabwicklungsfonds könne man vorangehen. "Nach jeder Etappe können wir bei der Vergemeinschaftung von Risiken fortschreiten", heißt es in Paris.

Le Maire verhehlt seinen Argwohn gegenüber Deutschland kaum mehr. Kämen die Reform der Euro-Zone nicht bis Juni voran, "würde das in Wirklichkeit heißen, dass wir gar nicht vorankommen wollen", sagte er kürzlich. Doch der Grundsatzkonflikt um die Vergemeinschaftung von Finanzrisiken droht einen Kompromiss zu verhindern. Auch der Euro-Rettungsfonds ESM, der zu einem Europäischen Währungsfonds ausgebaut werden soll, weckt Begehrlichkeiten. Die Idee stammt ursprünglich aus Deutschland, weshalb Frankreich einen solchen Fonds kaum als eigenes Statussymbol verkaufen kann. Geht es nach Berlin, soll ein solcher Fonds all jene Aufgaben übernehmen, die einstmals die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds innehatte - und zu der später auch der ESM zählte. Deutschland will dabei insbesondere die Kommission entmachten, die aus Berliner Sicht zu nachlässig mit Griechenland und anderen von der Pleite bedrohten Staaten umging.

Macrons Idee eines Euro-Finanzministers steht nicht mehr auf der Agenda

In Paris gibt es die Sorge, dass Deutschland mit dem Währungsfonds vor allem die eigene Sparpolitik durchsetzen will. Frankreich fordert deshalb eine sogenannte Stabilisierungsfunktion, die nicht erst greift, wenn einem Mitgliedsland der Staatsbankrott droht. Ein solches Instrument soll wirtschaftliche Schocks abfedern, die etwa der Brexit in Irland auslösen könnte. Deutschland ist davon nicht überzeugt. Eine Hoffnung gibt es jedoch noch in Paris. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD findet sich die Bereitschaft zu einem "Investivhaushalt" für die Euro-Zone. Doch das von Macron geforderte große Budget für die Währungsunion, lehnt Merkel ab.

Wenn überhaupt könnte es ein kleines Budget innerhalb des EU-Haushalts geben. Auch Macrons Idee eines Euro-Finanzministers steht angesichts dieser Differenzen nicht mehr auf der Agenda. "Bis zu den Europawahlen 2019 scheint es unmöglich, diese heikle institutionelle Frage zu lösen", sagt ein EU-Diplomat.

Macrons Vorhaben droht das Schicksal der gemeinsamen deutsch-französischen Unternehmenbesteuerung. Es wird seit sieben Jahren darüber geredet, umgesetzt wird nichts. Erst nach Macrons Wahlsieg im Mai 2017 bekam das Thema wieder volle Priorität. Bis zum gemeinsamen Ministerrat im Juli sollte eine deutsch-französische Arbeitsgruppe Strittiges klären. Dann vertagte man sich erst auf September, dann auf das Jahresende, schließlich auf März. Nun ist Juni im Gespräch. Wer im Bundesfinanzministerium nachfragt, bekommt zur Antwort, dass es rege Kontakte gibt und dass Informationen ausgetauscht werden.

Das Projekt ist bezeichnend für das deutsch-französische Duo. Der Anspruch ist es, im Gespräch zu bleiben. Zu einem Kompromiss kam es zuletzt nur, wenn der Druck so hoch war, dass es fast nicht mehr anders ging als sich zu einigen. Wie damals 2015, als über den Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone gerungen wurde.

Ausgerechnet bei Griechenland steht die Notwendigkeit eines weiteren Kompromisses bevor. Wenn das Kreditprogramm im August ausläuft, soll entschieden werden über einen Mechanismus, wie Athen in Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum Schulden erlassen werden. Berlin will in jedem Fall "einen Automatismus verhindern". Und Paris?

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