Der Gipfel dauerte mehr als 21 Stunden, die Nacht von Donnerstag auf Freitag wurde durchverhandelt - doch als das Treffen in Brüssel vorbei war, herrschte fast so etwas wie Euphorie bei den EU-Spitzenvertretern: Ratspräsident Charles Michel sprach von "einem großartigen Resultat für Europa", Kommissionschefin Ursula von der Leyen von einem "Meilenstein für Europa und unseren Planeten", und selbst Kanzlerin Angela Merkel bemerkte trocken, es habe sich "gelohnt, eine Nacht nicht zu schlafen". Tatsächlich gelang es den 27 Staats- und Regierungschefs an den zwei Tagen, ein sehr schwieriges Jahr für die Europäische Union mit positiven Ergebnissen ausklingen zu lassen. Zum Beispiel mit der Einigung auf ein schärferes Klimaziel für 2030.
Vor dem Gipfel hatte die EU dagegen zerstritten und handlungsunfähig gewirkt. Diese Dispute sind jetzt zwar nicht ausgeräumt, aber die Spitzenpolitiker haben sich zusammengerauft und mit Kompromissen den Weg für wichtige Entscheidungen geebnet. So beendeten die Regierungen die Blockade des Etats und des Corona-Hilfstopfes, sie verständigten sich auf Sanktionen gegen die Türkei und eben auf das neue Klimaziel - pünktlich zum fünften Jahrestag des Pariser Klimaschutzabkommens. Der Ausstoß an klimaschädlichen Gasen soll demnach in den kommenden zehn Jahren um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Bislang peilte die Union 40 Prozent an.
Vor allem Polens Regierung wehrte sich lange gegen diesen Beschluss, weswegen die Nacht durchverhandelt werden musste. Die Zielmarke 55 Prozent hatte die EU-Kommission vorgeschlagen. Nach der Einigung müssen die Mitgliedstaaten nun mit dem Europaparlament über das Ziel verhandeln. Die Abgeordneten fordern sogar ein Minus von 60 Prozent. Dass sich der Gipfel auf das Klimaziel verständigt hat, war nur möglich, weil vorher ein anderer Streit beigelegt werden konnte: Ungarn und Polen hatten ihre Zustimmung zum EU-Etat und zum Corona-Hilfsfonds verweigert. Und solange nicht klar war, wann wie viel Fördergeld für Klimaschutz fließen wird, konnte es keine Einigung auf das Reduktionsziel geben.
Beim Haushaltsdisput spielte Kanzlerin Merkel eine wichtige Rolle. Noch bis Jahresende hat Deutschland die rotierende EU-Ratspräsidentschaft inne - deswegen war es an Berlin, hier zu vermitteln. Der Durchbruch gelang kurz vor dem Gipfel: Am Mittwoch stimmten Polen und Ungarn einem Kompromiss zu, der dann bei dem Treffen verabschiedet wurde. Die beiden Regierungen hatten sich mit ihren Vetos dagegen gewehrt, das Budget erstmals mit der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien zu verknüpfen. Am Ende gaben sich Polen und Ungarn aber mit einer Zusatzerklärung zufrieden.
Darum wird die EU das neue Jahr mit einem gültigen Haushalt beginnen können - und der 750 Milliarden Euro schwere Corona-Hilfstopf wird ebenfalls kommen. Der ist nicht nur Ausweis von Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, sondern stellt auch einen bedeutenden Schritt hin zu mehr europäischer Integration dar. So darf die Kommission für den Topf in großem Stil Schulden machen und soll später eigene Steuern erheben können, um diese Darlehen zu begleichen. Nach dem Gipfel bilanzierte Ratspräsident Michel daher, am Ende eines aufwühlenden Jahres "haben wir jetzt endlich wieder einiges erreichen können". Die nächste Krise könnte jedoch nicht lange auf sich warten lassen: An diesem Sonntag wollen Brüssel und London entscheiden, wie es mit den Brexit-Verhandlungen weitergeht. Und die Vorzeichen sind nicht gut.