Europa:Ein Zaun gegen Orbán

Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei zeigen, warum der Rechtspopulismus viel zu lange viel zu naiv behandelt wurde. Man darf ihm nicht entgegenkommen, sondern muss ihm eine Grenze setzen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Im Zeitalter der sich auflösenden Ordnung wird immer wieder die Frage gestellt, was genau diesen Erosionsprozess aufhalten könnte. Was hilft gegen die Blitzmobilisierung von Neonazis und den Hitlergruß? Wie entlarvt man Donald Trumps Lügen, etwa wenn er das Treffen mit seinem Freund Kim Jong-un zum großartigen Friedenswerk erklärt? Welches Argument stoppt die Kanonade eines Viktor Orbán, der die EU als einen gottverlassenen und von Migranten überrannten Flecken Erde karikiert?

Verzerrung, Provokation und Maßlosigkeit sind die Machtinstrumente der Populisten und Extremisten. Sie schaffen mit ihren Übertreibungen eine Scheinrealität, die sich durch geduldige Argumentation nicht korrigieren lässt. Die Fiktion und in ihrer Steigerung die Konspiration sind dazu geschaffen, dass man an ihnen zerschellt. Schlimmer: Die Scheinwelt wird plötzlich ein Stück weit Realität, auch weil sich die wahre Welt an ihr messen muss. Wenn der Hitlergruß zum Demonstrationsarsenal gehört, warum sollte man ihn dann nicht zum Spaß auf Facebook posten? Wenn ein Gipfel mit Kim dem Frieden dient, wie kann dann einer mit Wladimir Putin schlecht sein? Wenn Ungarn gerade noch vor dem Untergang bewahrt werden kann, wer schützt dann eigentlich Österreich und Slowenien?

Das Europäische Parlament hat nun gezeigt, wie man diesen Teufelskreis durchbricht: durch konsequente Abgrenzung. Zum ersten Mal überhaupt hat das Parlament die Mitgliedsstaaten aufgefordert, ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren zu eröffnen. Anders als beim polnischen Verfahren liegt dem Ungarn-Votum der parlamentarische Wille zugrunde. Das verleiht der Aufforderung mehr Gewicht und ist verbunden mit einem öffentlichen Zwang zum Bekenntnis aller Parlamentarier: Wo stehe ich? Wo liegt für mich die Grenze?

Ungarn ist kein kontrollierbares Ärgernis

Lange Zeit herrschte im Licht der ungarischen Rechtsverstöße die Meinung vor, dass es sich hier um ein kontrollierbares Ärgernis handele. Weil Orbáns Fidesz-Partei zur Machtbasis der Christdemokraten (EVP) beitrug, fiel die Tolerierung noch leichter. Umso wichtiger, dass nun bedeutende Teile der EVP von dieser Kosten-Nutzen-Rechnung Abschied genommen haben. Die Fidesz hat im Schutz der EVP Ungarn einer veritablen Gehirnwäsche unterzogen, gravierend den Rechtsstaat ausgehöhlt und ihre neurotische Blut- und Bodenideologie samt Untergangsfantasie durch schiere Wiederholung bis in den letzten Winkel Europas getragen. Nein, die Fidesz und Orbán sind nicht der Grund für den europäischen Rechtspopulismus. Aber sie zeigen, warum das Phänomen viel zu lange viel zu naiv behandelt wurde.

Das Risiko bei einem Rechtsstaatsverfahren liegt für die EU in ihrer Spaltung. Vielleicht erfüllen sich Orbáns autokratische Träume schneller, wenn er als Austrittskandidat die EU attackiert. Nur: Zur Spaltung der EU trägt er so oder so bei. Hält man ihn ungestraft in den Reihen, dann höhlt er die Gemeinschaft von innen aus, so will es die ungarische Staatsideologie. Deswegen ist ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn jetzt geboten. Und viel wichtiger ist es, die von den Populisten gepflegte Unterteilung in Gut und Böse zu akzeptieren und den Wunsch nach klarer Abgrenzung zu erfüllen. Leute wie Orbán leben von der Destruktion. Die Europäische Union war aber immer eine konstruktive Idee.

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