Europa-Debatte in Großbritannien:Cameron, der Getriebene

David Cameron, Premierminister, Großbritannien

Von den eigenen Leuten demontiert: David Cameron, hier auf der Pressekonferenz mit Präsident Obama im Weißen Haus

(Foto: Bloomberg)

Der britische Premier weilt fernab der Heimat, doch das Thema Europa verfolgt ihn bis in die USA. Während David Cameron versucht, mit einem Gesetzentwurf die Diskussion über einen Verbleib in der EU zu beenden, arbeiten die Tories weiter an der Demontage ihres Chefs.

Von Christian Zaschke, London

Immerhin haben sie in 10 Downing Street, im Amtssitz von David Cameron, den Humor nicht verloren. Der Premierminister sei "sehr glücklich" über die intensive Europa-Debatte in seiner Partei, teilte ein Sprecher am Dienstag mit. Britischer kann man kaum ausdrücken, dass Cameron die endlose Diskussion wirklich gegen den Strich geht. Da sich jedoch der europaskeptische Flügel seiner konservativen Partei nicht auf Linie bringen lässt, hat sich der Regierungschef jetzt erneut mit dem Thema beschäftigen müssen, obwohl er gerade auf Besuch in den USA weilt.

Überraschend haben die Tories auf seine Veranlassung hin am Dienstag einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der eine Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens rechtlich verankern soll. Mit diesem Vorstoß will Cameron den Europaskeptikern in seiner Partei entgegenkommen. Diese haben für diesen Mittwoch eine Debatte im Parlament anberaumt, in der sie ihr Bedauern darüber ausdrücken wollen, dass eine gesetzliche Verankerung des Referendums nicht Teil der Regierungserklärung war, die Königin Elisabeth II. in der vergangenen Woche verlesen hat. Sie fordern, diese Verankerung nachträglich in die Regierungserklärung aufzunehmen.

Einer der führenden Europaskeptiker, der Abgeordnete John Baron, forderte am Dienstag, der Premier solle den Mut haben, für eine nachträgliche Änderung der Regierungserklärung zu stimmen. Es handelt sich bei Barons Äußerung um eine beachtliche Provokation. Er fordert vom Chef der Regierung, dass dieser seine eigene Erklärung bedauert und für eine Änderung stimmt. Die Äußerung zeigt, dass die Europaskeptiker unter den Tories nicht davor zurückschrecken, den eigenen Premier öffentlich anzugehen und zu beschädigen.

Versuch eines Kompromisses

Im Prinzip hätte Cameron nichts dagegen gehabt, die Verpflichtung zur Volksabstimmung ins Regierungsprogramm aufzunehmen. Er hat im Januar ja selbst angekündigt, im Falle eines Siegs bei der Parlamentswahl 2015 zwei Jahre später über die EU-Mitgliedschaft abstimmen lassen zu wollen. Da die aktuelle Regierung jedoch aus einer Koalition von Tories und Liberaldemokraten (Libdems) besteht, kann er nicht so, wie er will. Die Liberaldemokraten sind strikt gegen ein Referendum.

Deshalb hat Cameron nun einen Kompromiss versucht. Nicht die Regierung, sondern ein Mitglied der Tories wird den Gesetzesentwurf einbringen. Das Parlament wird darüber debattieren, anschließend wird abgestimmt. Da die oppositionelle Labour-Partei ebenso wie die Libdems gegen den Entwurf stimmt, bleibt der Vorstoß de jure folgenlos.

Cameron kommt seinen Leuten jedoch mit einem Zeichen des guten Willens entgegen und zeigt zudem den konservativen Stammwählern, dass die Regierung eine entsprechende Gesetzgebung verabschieden würde - wenn die Tories alleine an der Macht wären. Zudem soll die Initiative auch den Wählern der UK Independence Party (Ukip) zeigen, dass es den Tories ernst ist mit einem Referendum.

Fast so gefragt wie der Premier

Wie gefährlich die Ukip mittlerweile für die Konservativen ist, zeigt eine am Dienstag vom Guardian veröffentlichte Umfrage. Demnach haben die drei etablierten Parteien alle jeweils vier Prozentpunkte verloren. Die Ukip hingegen erreicht das beste Ergebnis, das sie je in einer Umfrage erzielt hat: 18 Prozent der Befragten gaben an, bei der nächsten Parlamentswahl für die Partei stimmen zu wollen, die den schnellstmöglichen Austritt aus der EU will.

Wegen des Mehrheitswahlrechts in Großbritannien könnte es sein, dass die Ukip dennoch nicht einen einzigen Sitz im Parlament gewinnt. Da ihre Wähler jedoch mehrheitlich konservativ sind, könnten sie die Tories so viele Stimmen kosten, dass die Labour-Partei die Wahl gewinnt.

Ukip-Chef Nigel Farage ist in den Medien derzeit so gefragt, dass er täglich einige Fernsehauftritte absolviert. Er ist in diesen Tagen fast so oft auf den Bildschirmen zu sehen wie der Premier. Am Dienstag sagte er, dass Camerons Vorstoß inhaltlich leere Symbolpolitik sei. Zudem unterbreitete er mit seinem charakteristischen Grinsen europaskeptischen Abgeordneten von Tories und Labour einen Vorschlag: Diejenigen, die den EU-Austritt wollten, könnten bei der nächsten Wahl wirklich sehr gern gemeinsam mit der Ukip antreten.

Die meisten Kommentatoren werteten Camerons überraschenden Vorstoß am Dienstag als Schwäche. Er agiere bei dem Thema nicht, sondern lasse sich von seinen europaskeptischen Parteifreunden treiben. Außenminister William Hague verteidigte den Premier. Cameron habe deutlich gemacht, dass seine Partei das Referendum wirklich wolle. Aus 10 Downing Street hieß es, der Premier zeige keinesfalls Schwäche. Im Gegenteil sei er sehr froh darüber, an der Spitze derer zu stehen, die eine Volksabstimmung befürworten.

Die Labour-Partei betrachtet die anhaltenden Diskussionen bei den Tories weiterhin mit Freude. Schatten-Außenminister Douglas Alexander sagte am Dienstag: "Wir wollen nicht vergessen, dass es bei der nächsten Wahl nicht um Europa geht. Die Wähler wissen: Es geht um Jobs, es geht um die Wirtschaft." Während er sprach, umspielte ein haarfeines Lächeln seine Lippen.

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