Europa-Bild der Linken:Zentrale des Bösen

Linke-Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi

Linke-Chef Gysi distanziert sich vom Leitantrag seiner Partei.

(Foto: dpa)

Europa stürze "Millionen Menschen ins Elend": Der Leitantrag der Linken zum Parteitag im kommenden Monat zeichnet ein düsteres Bild der EU. Reformer sind entsetzt, Fraktionschef Gysi distanziert sich. Bei der Fraktionsklausur dürfte es Ärger geben.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Eigentlich wirkt er ganz aufgeräumt, der kleine Herr, der in Büro Nummer 1732 mit dem Zeigefinger in die Luft pikst, so als säße da oben ein unsichtbarer Gegner. Gregor Gysi, der Kopf der Linkspartei, spricht über seine neue Rolle im Bundestag, und es ist ihm anzusehen, dass es für ihn schon ärgerlichere Themen gab. Bei der Wahl hat die Linke gut drei Prozentpunkte verloren, im Plenum des Bundestags wirkt ihre Fraktion wie ein Pizzastückchen am Rand, aber egal. Gysi ist jetzt Oppositionsführer, 2014 wird ein gutes Jahr, verkündet er in seinem Büro, wo er selbst an der Wand hängt, auf einem Foto, die Nase ganz nah an einem Schweißgerät.

Draußen im Leben hat Gysi jetzt auch ein paar Dinge zu löten, der Aufstieg zur größten Oppositionspartei wird ein Stresstest für die Linkspartei. "Ich glaube, dass unsere Fraktion eine gewachsene Verantwortung trägt, der müssen wir natürlich noch gerecht werden", sagt er. Am Donnerstag trifft sich die Fraktion zur Klausur, es geht um Oppositionsstrategien - und darum, wie die Linke, nun ja, sich etwas effektiver einbringen könnte.

Mehr Tempo, mehr Präzision

"Wenn die Regierung um zwölf Uhr etwas erklärt, müssen wir eine halbe Stunde später antworten", sagt Gysi, der die Debattierlust seiner Partei nicht immer teilt, die zügige Beantwortung von Telefonanfragen schätzt und jetzt ein wenig wie ein Feldmarschall klingt, der seine Truppe antreibt. Zu mehr Tempo, Präzision, zum Abwerfen von ideologischem Ballast. Manchem Linken, so zumindest kann man ihn verstehen, fehlt es nach Jahrzehnten in den Randzonen der Politik an Selbstbewusstsein, was dann mit schrillen Tönen ausgeglichen wird. Die internen Grabenkämpfe haben etwas nachgelassen, doch der Anspruch, in vier Jahren regierungsfähig zu werden, heizt alte Konflikte neu an.

Auslandseinsätze, Rüstungsexporte, Arbeitsmarkt - das sind so die Baustellen, auf die Gysi muss, will er ein rot-rot-grünes Bündnis vorbereiten. Und dann ist da noch die Europawahl im Mai, die bei der Fraktionsklausur Zunder bedeuten dürfte. Grund ist ein Leitantrag der Parteispitze für den Europaparteitag im Februar. Der Haupttext ist eher erwartbar, er kritisiert Sozialabbau in der EU und die Übermacht der Banken, will Frieden, Ökostrom, durchlässigere Grenzen. Die Einleitung aber klingt, als sei Brüssel die Zentrale des Bösen. Die EU, heißt es da, sei "zu einer neoliberalen, militaristischen und weithin undemokratischen Macht" geworden. Statt internationaler Solidarität bringe Europa "mehr faschistische Parteien, rechtspopulistische Hetzer und mehr Menschenjagd in und an den Grenzen" hervor und stürze "Millionen Menschen ins Elend".

Europa stürze "Millionen Menschen ins Elend"

Linke Reformer wie der Außenpolitiker Stefan Liebich sind entsetzt. "Das ist eine Aufforderung, nicht zur Europawahl zu gehen", sagt er. Die Parteilinke Sahra Wagenknecht sieht das anders. Wagenknecht, einst als kommunistische Rote Zora verschrien, gilt inzwischen ja selbst bei politischen Gegnern als Kennerin des EU-Bankenwesens. Wer sie reden hört, wird als Erstes unter Zahlen begraben. Schätzungsweise 120 Griechen hätten sich in den letzten Monaten aus Verzweiflung das Leben genommen, Tausende Spanier ihr Haus verloren, sagte Wagenknecht neulich im Bundestag. Die Banken zu groß, die Kontrollen zu schwach, der Euro eine Fehlkonstruktion, überall Verwüstung. So geht das.

Wer Wagenknecht fragt, ob dieses negative Europabild dem von Rechtspopulisten nicht gefährlich ähnlich sieht, guckt in ein nachdenkliches Gesicht. 350.000 Stimmen hat die Linke bei der Bundestagswahl an die Alternative für Deutschland (AfD) verloren. "Wir dürfen das nicht beschönigen", sagt sie. "Die AfD spricht die Europafrage geschickt an. Bei vielen, die die angebliche Euro-Rettung aus gutem Grund ablehnen, kann sie damit punkten." Dabei gebe es inhaltlich gar keine Schnittmengen, die AfD wolle kein soziales Europa, sei "nicht frei von nationalistischen Untertönen", ganz anders als die Linke.

Tür an Tür mit Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit

"Ich glaube, dass da Trennschärfe gefragt ist", warnt die linke Innenpolitikerin Petra Pau, die aus ihrem Wahlkreis Berlin-Marzahn nur zu gut weiß, dass Europaskepsis, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit auch in linken Hochburgen Tür an Tür wohnen können. Und auch in der Linksfraktion im Bundestag gibt es Leute, denen vorgeworfen wird, sich in Sachen Europa aufs Nationale zurückzuziehen. Diether Dehm ist so einer, er war mal Schlagersänger, jetzt ist er europapolitischer Sprecher und überzeugt, dass die EU ein undemokratischer Moloch ist, ohne Trennung von Exekutive und Legislative, den Standards des Grundgesetzes weit unterlegen. "Die EU lässt den Verbrechern von den Großbanken ein gesetzloses Eldorado", sagt er und setzt zum Exkurs über die Deutsche Bank und die Finanzierung von Auschwitz an.

Zurück ins Büro von Gregor Gysi, dem schon mal ein Seufzer entweicht, wenn er Parteifreunde so reden hört. "Wir müssen die europäische Integration als linke Idee schon deshalb wollen, weil es aus friedenspolitischen Gründen nicht anders geht", sagt er. "Und weil die alten Nationalstaaten allein überhaupt keine Chance mehr haben, politisch und ökonomisch wirksam zu sein." Für mehr Demokratie und Parlamentsrecht sei in der EU zu kämpfen, "gegen Sozialabbau, gegen die Militarisierung, aber nicht gegen die EU". Und der Leitantrag zum Parteitag? "Da wird sich, denke ich, schon einiges ändern." Gregor Gysi steht auf, er muss jetzt los. Es sind da noch ein paar Dinge zu besprechen.

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