Europa:Warum Griechenland im Schengen-Raum bleiben sollte

Griechische Fahne und Europa-Fahne

Im Januar 2015 in Athen weht die Griechische Fahne zwischen zwei Europafahnen. In Griechenland könnte sich das Schicksal der Freizügigkeit in Europa entscheiden.

(Foto: dpa)

In Griechenland entscheidet sich das Schicksal der Europäischen Union. Es wäre ein schwerer Fehler, Athen aus dem Schengen-Raum zu drängen.

Kommentar von Stefan Ulrich

Europa kommt aus dem Nahen Osten. Die phönizische Königstochter wurde von Zeus über das Mittelmeer nach Kreta entführt. Somit steht, mythologisch betrachtet, Griechenland am Anfang der europäischen Geschichte. Das Ende könnte, politisch, wieder mit Griechenland verknüpft sein. Griechenland als Alpha und Omega Europas - das wäre eine Erzählung, die sich spätere Generationen gut merken könnten.

Noch ist es nicht so weit. Allerdings haben sich zwei durchaus lebensgefährliche Krisen der EU ausgerechnet im heute kleinen Griechenland verdichtet. Hier erlebte die Euro-Krise vergangenen Sommer ihren - vorläufigen - Höhepunkt. Hier könnte sich jetzt das Schicksal der Freizügigkeit in Europa entscheiden. Der Schengen-Raum, der es vielen Europäern erlaubt, ohne Kontrollen von Land zu Land zu reisen, ist in Gefahr.

Schengen bedeutet: Wegfall der Kontrollen an den Innen- und bessere Kontrollen an den Außengrenzen. Der erste Teil hat lange funktioniert, der zweite nicht. So ist Griechenland kaum in der Lage, seine Seegrenze zur Türkei, über die so viele Flüchtlinge kommen, zu schützen. Im Schengen-Raum mit seinen 26 Staaten wird daher gefordert, Griechenland hinauszuwerfen oder dessen Grenzen durch die Frontex-Agentur der EU zu kontrollieren - notfalls gegen den Willen Athens.

Griechenland braucht Hilfe - ein Rauswurf Athens schadet allen

Ein Rauswurf wäre rechtlich problematisch, politisch unvernünftig und moralisch falsch. Die Schengen-Regeln sehen keinen Rauswurf vor. Der hätte zur Folge, dass sich noch viel mehr Flüchtlinge als bisher im überforderten Griechenland stauen würden. Zehntausende Schutzsuchende müssten in schlimmen Verhältnissen unabsehbar lange in Griechenland ausharren. Zehntausende andere würden künftig die Balkanroute meiden und, sofern sie nicht im Meer ertrinken, über Italien nach Europa einreisen. Soll als Nächstes dann Italien aus dem Schengen-Raum ausgeschlossen werden?

Bereits ein Ausscheiden Griechenlands wäre das Signal an die Märkte, dass Athen jetzt auch aus dem Euro fliegen könnte. Wieder würde gegen die Währung spekuliert. Und der toxische Streit in Europa, wer an der Bredouille schuld ist - die unfähigen Griechen, neunmalkluge Deutsche - käme zurück.

Frontex muss den Grenzschutz Griechenlands übernehmen

Da ist es besser, wenn Griechenland im Schengen-Raum bleibt. Weil Athen aber finanziell und organisatorisch überfordert ist, ist es nötig, die gemeinsame europäische Frontex-Agentur auszubauen und ihr den griechischen Grenzschutz zu übertragen. Das wäre angemessen, da die Kontrolle der Außengrenzen ganz Europa betrifft. Einige Staaten, darunter Griechenland, sträuben sich jedoch, die Grenzkontrollen, diesen Kernbereich staatlicher Souveränität, an Europa abzugeben.

Womöglich könnten die Griechen in Brüssel einfach überstimmt werden. Doch es wäre fatal, diesem Land, das wirtschafts- und finanzpolitisch bereits unter Kuratel steht, auch noch zwangsweise fremde Truppen ins Haus zu schicken. Dies würde böses Blut in ganz Europa schaffen und Anti-Europäern Argumente liefern.

Griechenland darf nicht gezwungen, es sollte überzeugt werden. Denkbar wäre es, Frontex künftig an allen EU-Außengrenzen mehr Aufgaben zu übertragen, so dass Griechenland kein Sonderfall wäre. Zudem könnte ein Mitentscheidungsrecht Athens bei den Einsätzen vereinbart werden. Auch bei den Sparauflagen im Rahmen der Euro-Rettung sollte die EU Athen entgegenkommen.

Die Lage in Europa ist dramatisch

Euro und Grenzschutz haben nichts miteinander zu tun? Wenn ein Haus brennt, ist es unerheblich, ob zwei Brandherde dieselbe Ursache haben. Es muss gelöscht werden. So dramatisch ist die Lage in Europa. Eine Rückkehr der Binnengrenzen wäre - wie ein Scheitern des Euro - das Signal, dass die Zeit der Gemeinsamkeiten zu Ende geht. Gelingt es dagegen, die Außengrenzen des Schengen-Raumes gemeinsam zu sichern, wäre viel für den Zusammenhalt Europas erreicht.

Nur: Deswegen werden nicht gleich wesentlich weniger Flüchtlinge kommen. Denn auch Frontex muss Menschen in Seenot retten; und auch Frontex ist machtlos, wenn die Türkei sich weigert, Migranten zurückzunehmen.

So bleibt wohl nichts anderes übrig, als den mühsamen Weg mit ungewissem Ausgang weiterzugehen, den Angela Merkel eingeschlagen hat: Länder wie die Türkei müssen mit viel Geld und praktischer Hilfe überredet werden, Flüchtlinge auf womöglich lange Zeit bei sich zu behalten. Und alle EU-Staaten müssen dazu gebracht werden, einen fairen Anteil bei der Aufnahme Schutzbedürftiger in Europa zu übernehmen. Gelingt dies, darf die EU endlich wieder einmal stolz auf sich sein. Scheitert der Plan, so kann es sein, dass auch Europa im Mittelmeer untergeht.

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