Europa:750 Milliarden Euro gegen die Krise

Die EU soll nach dem Willen von Kommissionspräsidentin von der Leyen in großem Stil Schulden aufnehmen, um Staaten in der Pandemie zu helfen. Das gefällt nicht allen.

Von Björn Finke, Brüssel

Es ist ein historischer Schritt: Die EU soll erstmals im großen Stil Schulden aufnehmen, die dann als Zuschüsse an die Mitgliedstaaten fließen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte am Mittwoch in Brüssel ihren Entwurf für ein Corona-Hilfspaket und für den künftigen Haushalt der EU vor. Der Corona-Topf soll 750 Milliarden Euro umfassen, von denen 500 Milliarden Euro Zuschüsse und 250 Milliarden Euro günstige Kredite an Regierungen sind. Die Kommission will das Geld auftreiben, indem sie Anleihen ausgibt. Diese sollen zwischen 2028 und 2058 aus dem EU-Etat beglichen werden, also letztlich aus den Beiträgen der Mitgliedstaaten. Deutschland steuert ein Viertel zum Budget bei und wird daher den größten Teil des Schuldendienstes tragen.

Europa: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen will Europa grüner und digitaler machen. Sie spricht vom „Pakt der Generationen“.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen will Europa grüner und digitaler machen. Sie spricht vom „Pakt der Generationen“.

(Foto: Kenzo Tribouillard/AFP)

Bei der Präsentation der Pläne im Europaparlament sagte von der Leyen, die Zuschüsse aus dem Hilfstopf seien "eine gemeinsame Investition in unsere Zukunft". Die Corona-Krise stelle die größte Herausforderung in der Geschichte der EU dar; sie weite wirtschaftliche Unterschiede zwischen Ländern gefährlich aus, warnte die Deutsche. Vor allem Italien und Spanien leiden sehr unter der Pandemie - und unter ohnehin hohen Staatsschulden.

Nun werden die EU-Regierungen den Entwurf des Hilfspakets und des Haushalts debattieren; am Ende müssen die 27 Staats- und Regierungschefs einstimmig einen Kompromiss verabschieden. Das wird sicher einige Wochen dauern. Der Bundesregierung kommt hier eine wichtige Rolle zu, denn Deutschland übernimmt im Juli die EU-Ratspräsidentschaft.

Von der Leyens Entwurf für den sogenannten Mehrjährigen Finanzrahmen, den EU-Haushalt für 2021 bis 2027, sieht ein Volumen von 1,1 Billionen Euro vor - oder gut 150 Milliarden Euro pro Jahr. Auch darauf müssen sich die Staats- und Regierungschefs einstimmig verständigen. Im Februar brachen die Politiker einen Haushaltsgipfel ab; der neue Vorschlag orientiert sich von der Summe her am damals diskutierten Kompromiss.

Der schuldenfinanzierte Corona-Topf soll den Brüsseler Etat in den ersten drei Jahren massiv vergrößern. Die Mittel aus "Next Generation EU" - so hat von der Leyen den Hilfsfonds getauft - werden bestehende EU-Programme aufstocken und neue schaffen. Das wichtigste neue Programm soll Regierungen bei Investitionen und Reformen unterstützen, um die Wirtschaft moderner, grüner und wettbewerbsfähiger zu machen. Hierfür sind 310 der eingeplanten 500 Milliarden Euro an Zuschüssen aus dem Topf vorgesehen.

Einer internen Aufstellung der Kommission zufolge kann Italien bis zu 82 Milliarden Euro an Zuschüssen aus dem Hilfstopf beziehen, Spanien bis zu 77 Milliarden Euro. Auch Deutschland kann bis zu 29 Milliarden Euro erhalten. Trotzdem wird die Bundesregierung draufzahlen: Wenn die Kommission die 500 Milliarden Euro Schulden begleicht, die für die Zuschüsse aus dem Topf nötig sind, entfallen auf Deutschland rein rechnerisch 130 Milliarden Euro. Das ergibt sich aus Deutschlands Anteil am EU-Haushalt.

Von der Leyen hofft allerdings, dass die Regierungen der Kommission neue Einnahmequellen erschließen, um einen Teil des Schuldendienstes abzudecken. Im Parlament nannte sie als Ideen eine EU-Steuer für Digitalkonzerne oder Mittel aus dem europäischen Emissionshandelssystem.

Der "Next Generation EU"-Topf ist bereits das zweite Hilfspaket der Union. Im April verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs ein Unterstützungsprogramm, das bis zu 340 Milliarden Euro an günstigen Darlehen umfasst. Eine Einigung auf das neue Paket und den Sieben-Jahres-Haushalt wird jedoch mühsam werden. Zwar nannte Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte den Entwurf "großartig". Aber auf der anderen Seite fordert etwa die Regierung der Niederlande, Mittel aus dem kreditfinanzierten Topf nur als Darlehen zu vergeben, nicht als Zuschuss. Ein niederländischer EU-Diplomat sagte, die Positionen der Staaten zu von der Leyens Plänen lägen weit auseinander: "Es ist schwer vorstellbar, dass dieser Vorschlag auch das Endergebnis der Verhandlungen sein wird."

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