Eurokrise:Vertrauen der Spanier in Europa sinkt dramatisch

Die Spanier sind mittlerweile europakritischer als die Franzosen oder Deutschen. Fast zwei Drittel der EU-Enthusiasten von einst misstrauen einer Umfrage zufolge dem Krisenmanagement der Europäischen Union. Vor allem die älteren und die armen Bürger sind skeptisch.

Joaquín Prieto ("El País")

Die Wirtschaftskrise und vor allem die große Kakophonie der europäischen Institutionen beim Krisenmanagement haben die einst EU-euphorischen Spanier zu Euroskeptikern gemacht. 62 Prozent misstrauen heute der Europäischen Union, nur noch ein gutes Drittel neigt dazu, ihr zu vertrauen, wie eine Umfrage des Euro-Barometers zeigt. Damit sind die Spanier inzwischen kritischer als die Deutschen oder Franzosen.

Zwar erreicht Spanien noch nicht die Ablehnungswerte Großbritanniens. Doch der Absturz ist brutal. Noch im Oktober 2010 hatten drei von vier Spaniern eine gute Meinung von der EU. Damals glaubten die meisten augenscheinlich noch daran, dass aus Europa die Rettung für ihre beginnende missliche Lage kommen würde. Immerhin hat das Land wie kaum ein anderes von EU-Hilfen profitiert, die Fortschritte in der Infrastruktur sind gewaltig seit dem Beitritt 1986, der das Land in die Moderne katapultierte. Sechs von zehn Spaniern sind für einen Verbleib in der Union.

Die politischen Parteien haben den euroskeptischen Schwenk nicht mitvollzogen, offiziell geben sich die eben abgewählten Sozialisten und die nun regierenden Konservativen weiterhin europafreundlich. Keine wichtige Stimme erhebt sich gegen Europa, nicht einmal die separatistischen Katalanen oder Basken haben offen etwas auszusetzen an der EU - im Gegenteil. Nach wie vor erhoffen sie sich Vorteile für ihre Regionen und mehr Unabhängigkeit von der ungeliebten Zentralregierung in Madrid.

Es sind die Jungen, Gebildeten, die weiterhin auf Europa setzen, jene, die auch die Globalisierung als Chance und nicht als Bedrohung sehen. An Europa glauben auch diejenigen, die Spaniens Situation optimistisch beurteilen - aber das sind wirklich nicht viele. Skeptisch gegenüber den Brüsseler Institutionen sind die Alten und solche, die nicht wissen, wie sie am Monatsende ihre Rechnungen bezahlen sollen. Noch ist es zu früh, Spanien als ein dezidiert euroskeptisches Land zu bezeichnen. Immerhin stimmte 2005 eine überwältigende Mehrheit für die EU-Verfassung (bei allerdings geringer Wahlbeteiligung), während sie in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt wurde, was die Union in eine ihrer ersten großen Krisen stürzte.

Es gibt Hoffnung: 74 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass eine europäische Regierung mit weitreichenden Kompetenzen gebildet werden sollte, um die 27 Mitgliedsländer besser zu koordinieren. Das klingt wie eine klare Unterstützung für die jüngsten Brüsseler Vereinbarungen, die nur London blockierte. Die Frage ist, ob den Menschen klar ist, was das bedeuten würde: Dass Madrid immer weniger zu sagen hätte.

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