Deutschland und die Euro-Krise:Hegemon wider Willen

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Die Krise des Euro ist auch ein Lehrstück über Europas Grenzen. Die EU sucht nach einem Währungsretter: Deutschland erweist sich dabei als schlechter Therapeut, die Kanzlerin als kantig.

Stefan Kornelius

Als es noch die D-Mark gab und auch die Mauer in den Köpfen der Europäer, benutzte man in Westdeutschland gerne das Wort Währungshüter, wenn man sich der Stärke des eigenen Geldes vergewissern wollte. Währungshüter ist ein sehr deutscher Begriff. In ihm schwingt alles mit, was die Bundesbank an Stabilität und Sicherheit in das Nachkriegsdeutschland eingebracht hat. Währungshüter und Weltspartag - das waren feste Säulen der deutschen Volkswirtschaft.

Angela Merkel kommt die Rolle des Währungshüters der Euro-Zone zu, ob sie will oder nicht. (Foto: AP)

Wer heute von Weltspartag spricht, der sollte eher an das nächste irische Budget oder an Griechenlands Rentenpläne denken. Und einen Währungshüter in der Zentralbank gibt es nicht. Jean-Claude Trichet, der Präsident der Europäischen Zentralbank, wurde zur Kassandra, zum Überbringer immer neuer Schreckensbotschaften aus der Euro-Zone. Bundesbankpräsident Axel Weber mimt den Herkules, der kraftstrotzend die Dinge auf die leichte Schulter nimmt. Der Währungshüter aber fehlt.

Ehe Europa diese Position wieder besetzen kann, muss es einen Währungsretter finden. Denn selbst wenn nun allenthalben Gelassenheit simuliert wird und nicht wahr werden kann, was nicht wahr werden darf: Der Euro ist in Gefahr. Und mit der Währung des Kontinents wankt auch die Idee, die 16 Nationen über den Geldbeutel ihrer Bürger miteinander verbindet.

Es ist die Idee, dass nationale Währungen als starke Symbole staatlicher Souveränität aufgegeben werden können, zugunsten einer größeren, wenn auch abstrakteren Vorstellung eines europäischen Staatenbunds. Dass die Nation als Gestaltungsraum von Politik, Wohlstand und Frieden nicht mehr ausreicht in einer Weltregion, die in ihrer Geschichte gerade wegen einer Überdosis an nationalen Gefühlen Unfrieden und ökonomischen Niedergang erlebt hat. Dass angesichts ungehemmter Handelsströme und offener Grenzen die kleinen Ordnungseinheiten erdrückt werden, weil die Konkurrenz einfach stärker ist.

Befreiung vom Nationalen

Die Europäische Union und der Euro wurden schon mit viel Pathos bedacht. Die Kriegs- und Nachkriegsgeneration der Helmut Kohls und François Mitterrands sprach mit feuchten Augen über geöffnete Schlagbäume und die Gräberfelder der Soldaten. Sie begründete Europa aus einer historischen Erfahrung heraus. Die Generation der Joschka Fischers erlebte Europa auch als Befreiung vom Druck des Nationalen. Und heute? Heute scheint die Zeit der Technokraten gekommen zu sein - und auch wieder der Nationalisten und Chauvinisten.

Wie schnell wird sie abgeschrieben, die gemeinsame Währung, weil sie angeblich im Augenblick keinen Vorteil mehr bietet. Die Finger deuten auf gierige Gernegroße in Irland und faule Frührentner am Mittelmeer. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird mit Nazi-Armbinde oder Knobelbechern gezeichnet. Der faulige Geruch des Populismus liegt über der Szene. Nein, man zahlt nicht für die Zocker auf der grünen Insel, und schon ist von deutschen Eroberungsplänen für Europa die Rede.

Die emotionale Schieflage spiegelt die tatsächlichen politischen und ökonomischen Verhältnisse in einem Europa wieder, in dessen Mitte plötzlich ein Monolith steht. Deutschland ist bisher relativ unbeschädigt durch die Finanzkrise gekommen, in den USA werden Bücher über das "Erfolgsmodell Germany" angeboten, in Frankreich preist die Finanzministerin deutsche Mitbestimmung und Kurzarbeit.

Christine Lagarde, die vor sechs Monaten noch die deutsche Stärke als das Grundübel der europäischen Missverhältnisse angeprangerte, ordnet sich nun ein in den Chor all jener, die in Deutschland den Retter der Währung und der Union sehen. Präsident Nicolas Sarkozy hat beim Strandspaziergang mit Angela Merkel in Deauville kapituliert und teilt die Analyse: Europa muss auch an seinen Rändern stärker werden, Portugal und Griechenland brauchen Modernität, eine industrielle Grundsubstanz, die Haushaltsdefizite in Spanien, Italien und Irland müssen schrumpfen.

Deutschlands Stärke ist gleichzeitig Anlass zur Irritation wie zur Hoffnung. Ohne die Stärke der deutschen Volkswirtschaft wären die schwachen Staaten an der Peripherie längst von den Finanzmärkten in den Ruin getrieben worden - das macht Hoffnung. Für Irritation aber sorgt weniger, was Deutschland zur Rettung des Euro beiträgt, sondern wie die Bundesregierung und die Kanzlerin an der Spitze in der Krise agieren.

Zwei Beweisstücke werden gern angeführt: Die Zögerlichkeit in der Griechenland-Krise im Frühsommer, und die Ankündigung im Oktober, dass private Gläubiger an den Kosten für eine Rettung in Not geratener Staaten beteiligt werden sollen, nach dem Motto: Wer auf die Pleite wettet, verliert seinen Einsatz.

Die Kantigkeit der Kanzlerin

Beide Male gab es gute Gründe für Merkels Position. Kein Zocker aber schätzt es, wenn mitten im Spiel die Regeln geändert werden. Die Beteiligung der Gläubiger wäre ein Schlüsselinstrument zur Beendigung der Währungsspekulationen, sie würde wohl aber unter keinen Umständen von den Märkten akzeptiert.

Merkels schroffes Auftreten und die kantige Art ihrer Gefolgsleute aber zeigen auch, dass sie die Dimension der Krise immer wieder unterschätzen. Damit ignorieren sie auch die Rolle, die Deutschland inzwischen zugefallen ist. Nach dem Einschwenken des französischen Präsidenten auf die deutschen Vorstellungen zum europäischen Rettungsmechanismus ist die eherne Arbeitsteilung im Zentrum der Union hinfällig. Deutschland ist nun als einzige Führungsnation übrig geblieben. Ein Dominator wider Willen, ein zögerlicher Hegemon.

Diese Zögerlichkeit zeigt sich in allen Phasen der Krise, in denen Merkel sich mal groß und dann wieder klein macht. Sie zeigt sich in einer Sprache, die kühl und technokratisch klingt und so wenig von der historischen Gefahr, wie von den entsprechenden Chancen vermittelt. Sie zeigt sich darin, dass sie den politischen Populismus im eigenen Haus besonders fürchtet und deswegen immer wieder von Strafe, Disziplin und Härte spricht, statt Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit in Europa hervorzuheben.

Wenn Währungspolitik ein Stück weit Psychologie ist, dann ist Deutschland ein schlechter Therapeut. Die Iren, die Portugiesen, die Spanier - sie wissen längst, dass sie Deutschland brauchen. Aber sie wollen nicht nur den harten Stock spüren, sie brauchen auch die lockende Karotte vor den Augen. Schuldzuweisungen helfen nicht weiter. "Frau Bundeskanzlerin, die Geschichte klopft an die Tür. Und die Geschichte klopft nur einmal", mahnte der britische Historiker Timothy Garton Ash. Merkel sollte die Mahnung ernst nehmen. "Sprich sanft und trage einen großen Knüppel", heißt ein afrikanisches Sprichwort, "dann wirst du weit kommen."

Europa braucht nun eine sanfte Aufmunterung, eine Erinnerung, warum es für die Währung und Eintracht Opfer zu bringen lohnt. Diese Aufmunterung kann nur vom Währungshüter kommen, und der ist nach Lage der Dinge nun einmal Deutschland.

© SZ vom 27.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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