Süddeutsche Zeitung

EuGH-Urteil:Straftäter aus der EU dürfen nicht einfach abgeschoben werden

  • Straffällig gewordene EU-Bürger können nach einem zehnjährigen Daueraufenthalt in einem anderen EU-Staat nur im Ausnahmefall noch in ihr Herkunftsland ausgewiesen werden, urteilt der Europäische Gerichtshof.
  • Eine Abschiebung nach Ende der Haftstrafe muss im Einzelfall geprüft werden.

Straffällige EU-Bürger können nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs nicht ohne Weiteres in ihren Herkunftsstaat abgeschoben werden. Wenn sie bereits eine Reihe von Jahren in dem Aufnahmestaat verbracht haben und integriert sind, gelte ein verstärkter Ausweisungsschutz, befanden die Luxemburger Richter. Nach einer Haftstrafe könnten sie nicht umstandslos ausgewiesen werden. Im Einzelfall müsse die Situation des Betroffenen umfassend geprüft werden.

Hintergrund sind die Fälle eines Griechen und eines Italieners (AZ: C-316/16 und C-424/16). Der griechische Staatsangehörige kam mit drei Jahren nach Deutschland und hatte seither kaum Verbindungen nach Griechenland. Nach 20 Jahren beging er eine Straftat, wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und sollte nun ausgewiesen werden. Ähnlich gelagert ist der Fall eines Italieners im Vereinigten Königreich. Nach 15 Jahren wurde er dort straffällig und musste ins Gefängnis. Als er nach fünf Jahren aus der Haft entlassen wurde, sollte er ebenfalls ausgewiesen werden.

"Tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung"

Innerhalb der EU ist die Ausweisung von straffälligen EU-Bürgern nur unter strengen Voraussetzungen möglich. So kann die strafrechtliche Verurteilung allein nicht zu einer Ausweisung oder Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis führen. Vielmehr muss eine "tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung" vorliegen, die "ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt", so der EuGH in einem früheren Urteil. Wird die Strafe zur Bewährung ausgesetzt, so ist eine Ausweisung nicht zulässig. Nach zehn Jahren Aufenthalt in Deutschland kann das Aufenthaltsrecht zudem nur noch aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit aberkannt werden.

Die Richter begründeten das Urteil damit, dass EU-Bürger nach fünf Jahren in einem anderen EU-Staat ein Daueraufenthaltsrecht erlangten, das ihre Ausweisung nur bei "schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" erlaube. Wenn sie in den vergangenen zehn Jahren in dem Aufnahmestaat lebten, erhielten sie noch zusätzlichen Schutz. Sie könnten dann nur aus "zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit" ausgewiesen werden.

Nach verbüßten Haftstrafen müsse im Zweifelsfall geprüft werden, ob dadurch die geknüpften Integrationsbande abgerissen seien, befanden die Richter weiter. Ein Gefängnisaufenthalt führe nicht automatisch dazu und bringe Straffällige somit nicht zwingend um ihren erworbenen verstärkten Ausweisungsschutz. Bei der Einzelfallbeurteilung müssten die nationalen Behörden außerdem die Umstände der Straftat und das Verhalten des Verurteilten im Gefängnis untersuchen.

Insgesamt haben EU-Bürger ein Recht auf Einreise und Aufenthalt und benötigen keinen Aufenthaltstitel - sie unterliegen lediglich der allgemeinen Meldepflicht. Nur bei nicht Erwerbstätigen ist das Freizügigkeitsrecht an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. So müssen sie über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Wer unter das Freizügigkeitsrecht fällt, dessen Aufenthalt unterliegt kaum Beschränkungen.

Anders sieht es in Deutschland bei Nicht-EU-Ausländern aus. Seit März 2016 können ausländische Straftäter ausgewiesen werden, wenn sie zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden. Dabei ist unerheblich, ob diese zur Bewährung ausgesetzt ist oder nicht. Das gilt bei Straftaten gegen das Leben, gegen die körperliche Unversehrtheit, gegen die sexuelle Selbstbestimmung und bei Angriffen auf Polizisten. Allerdings kann ein Ausländer nicht in sein Heimatland zurückgeschickt werden, wenn ihm dort Gefahr für Leib und Leben droht.

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