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Europäischer Gerichtshof:EU darf Polen und Ungarn Zahlungen kürzen

Lesezeit: 2 min

Nach einem Urteil des EuGH kann die Kommission Mitgliedstaaten Geld vorenthalten, die gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen. Geklagt hatten die beiden Regierungen, die am kritischsten beäugt werden.

Von Kassian Stroh

Auf Ungarn und Polen kommen womöglich hohe finanzielle Einbußen zu, weil dort nach Ansicht der EU-Kommission der Rechtsstaat ausgehöhlt wird. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat den Weg freigemacht, die neuen Regeln zur Ahndung entsprechender Verstöße in der EU anzuwenden. Die Richter erklärten den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus "in vollem Umfang" für legal. Damit könnte die Kommission schon bald Verfahren gegen Länder wie Ungarn und Polen einleiten, um ihnen am Ende auch Mittel aus dem EU-Haushalt zu kürzen.

Konkret geht es in dem EuGH-Verfahren um die "Verordnung über die Konditionalität der Rechtsstaatlichkeit", die seit Anfang 2021 in Kraft ist. Sie soll sicherstellen, dass Verstöße gegen Prinzipien wie die Gewaltenteilung nicht mehr ungestraft bleiben, wenn dadurch ein Missbrauch von EU-Geld droht. Dagegen klagten Polen und Ungarn, die sich besonders im Fokus des neuen Instruments sehen, vor dem EuGH. Gegen beide Länder laufen Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge. Polen baut das Justizwesen trotz internationaler Kritik um, die ungarische Regierung steht wegen ihrer Flüchtlings-, Medien-, Hochschul- und Justizpolitik in der Kritik.

Die EU gründe auf gemeinsamen Werten, dazu zählten Rechtsstaatlichkeit und Solidarität, teilte der Gerichtshof mit. "Da die Achtung der gemeinsamen Werte somit eine Voraussetzung für den Genuss all jener Rechte ist, die sich aus der Anwendung der Verträge auf einen Mitgliedstaat ergeben, muss die Union auch in der Lage sein, diese Werte im Rahmen der ihr übertragenen Aufgaben zu verteidigen." Der Haushalt sei "eines der wichtigsten Instrumente" der EU, heißt es in der Mitteilung des EuGH weiter. Wenn die Gefahr bestehe, dass ein Mitgliedstaat das Geld der EU nicht in ihrem Sinne verwende, seien auch die wirtschaftlichen Interessen der EU beeinträchtigt. Und wenn es hier einen "echten Zusammenhang" gebe, dürfe sie die Auszahlung an entsprechende Bedingungen koppeln.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte das Urteil. Ausgehend davon werde man nun Richtlinien entwickeln, wie man den Rechtsstaatsmechanismus konkret anwende, teilte sie mit. Damit wollte die Kommission warten, bis das Urteil vorliegt. Darauf hatten sich auch die Staats- und Regierungschefs im Sommer 2020 geeinigt, um die Regierungen in Budapest und Warschau dazu zu bringen, ihre Blockade wichtiger EU-Haushaltsentscheidungen aufzugeben. Von der Leyen betonte: "Ich habe versprochen, dass kein Fall verloren geht. Und ich habe das Versprechen gehalten." Insbesondere das Europaparlament macht Druck und hat die Kommission wegen ihrer Zögerlichkeit sogar vor dem EuGH verklagt - dieses Verfahren läuft noch.

Bis Zahlungen gekürzt werden, dürfte es noch etwas dauern

Polen und Ungarn bekommen jährlich Milliarden aus dem Gemeinschaftsbudget. Allzu schnell dürfte es mit Mittelkürzungen allerdings nicht gehen. Zunächst einmal steht dem ein formelles Argument entgegen: Die EU-Kommission will unter Berücksichtigung des Urteils noch die Leitlinien zur Anwendung des Verfahrens fertigstellen.

Wichtiger aber sind wohl politische Erwägungen: In Ungarn wird Anfang April ein neues Parlament gewählt. Würde die Kommission vorher noch erste Schritte einleiten, könnte dies als Einmischung in den Wahlkampf gewertet werden. Erst am Wochenende hatte Ministerpräsident Viktor Orbán die EU bei einem Wahlkampfauftritt hart attackiert und auch die Möglichkeit eines Austritts angedeutet: Sie führe "einen heiligen Krieg", einen "Rechtsstaats-Dschihad" gegen sein Land. Nach dem Urteil reagierte Ungarn mit schweren Vorwürfen. "Die Entscheidung ist ein lebender Beweis dafür, wie Brüssel seine Macht missbraucht", schrieb Justizministerin Judit Varga auf Twitter.

Polen wiederum deutete zuletzt Kompromissbereitschaft im Dauerstreit mit der EU über seine Justizreformen an. Abgeordnete der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) stellten vergangene Woche einen Gesetzentwurf vor, wonach Richter nicht mehr der höchst umstrittenen Disziplinarkammer unterworfen sein sollen, die die EU-Kommission als Gefahr für die Unabhängigkeit der Richter wertet. Zudem legte Polen einen Streit mit Tschechien bei, der ebenfalls den EuGH beschäftigt hatte und in dem Polen einen Beschluss der Richter ignorierte.

Mit Material der Nachrichtenagentur dpa

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