EuGH-Urteil:Kriegsdienst ist ein Fluchtgrund

Alltag in Syrien

Wer an der Zerstörung des eigenen Landes nicht mitwirken wollte als Soldat der Armee des syrischen Regimes, wurde bisher oft nicht als Flüchtling anerkannt.

(Foto: Hassan Ammar/dpa)

Das Urteil, bei dem es um einen Syrer geht, der vor dem Militärdienst in seinem Land geflohen ist, hat Auswirkung auf den Familiennachzug.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Seit Jahren ist die Frage zwischen deutschen Gerichten umstritten, nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) für Klarheit gesorgt. Syrische Männer, die ihr Land wegen des drohenden Militärdienstes verlassen haben, werden künftig einen umfassenden Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) durchsetzen können. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte ihnen bisher in vielen Fällen lediglich subsidiären Schutz zuerkannt. Damit waren die jungen Männer zwar zunächst davor geschützt, nach Syrien zurückgeschickt und, mitten im Bürgerkrieg, in Assads Armee eingezogen zu werden. Weil aber 2016 der Familiennachzug für syrische Flüchtlinge ausgesetzt und von August 2018 auf 1000 Fälle pro Monat begrenzt wurde, blieben viele Flüchtlinge von ihren Familien getrennt.

Geklagt hatte im konkreten Fall ein Mann, der wegen seines Studiums zunächst vom Militärdienst befreit war. Bevor die Freistellung auslief, flüchtete er und kam im September 2015 in Deutschland an. Er klagte vor dem Verwaltungsgericht Hannover auf Anerkennung als Flüchtling. Das Gericht legte das Verfahren dem EuGH vor, um für eine Klärung der in Deutschland so umstrittenen Frage zu sorgen.

In einen Bürgerkrieg gezwungen zu werden, war bisher kein Grund zur Anerkennung

Der Kern des Problems liegt darin, dass die Flüchtlingseigenschaft nach der GFK eine Verfolgung wegen bestimmter Gründe voraussetzt, nämlich Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Nicht zu diesen Gründen gehört die Furcht, als Soldat in einen Bürgerkrieg gezwungen zu werden, noch dazu einen, der durch die Begehung von Kriegsverbrechen gekennzeichnet ist - so widersprüchlich das klingt.

Nach den Worten des EuGH spricht allerdings "eine starke Vermutung" dafür, dass eine Wehrdienstverweigerung durchaus im Zusammenhang mit diesen Fluchtgründen steht. In vielen Fällen sei sie Ausdruck einer politischen Überzeugung, sei es die Ablehnung militärischer Gewalt, sei es die Opposition zu Assads Politik. Es könne aber auch eine religiöse Überzeugung dahinterstehen, oder eine Gruppenzugehörigkeit.

Künftig müssen die Behörden darlegen, warum ein Zusammenhang zur Flucht nicht bestehen soll

Nach dem Urteil wird sich die Anerkennungspraxis des Bundesamts, das in den Jahren nach 2015 syrischen Flüchtlingen oft nur subsidiären Schutz gewährt hat, deutlich ändern müssen. Denn laut EuGH muss fortan nicht etwa der Flüchtling beweisen, dass hinter seiner Wehrdienstverweigerung ein anerkannter Fluchtgrund steht. Vielmehr müssten die nationalen Behörden darlegen, warum dieser - sehr plausible - Zusammenhang nicht bestehen soll.

Unmittelbare Auswirkungen hat das Urteil nach Angaben von "Pro Asyl" freilich nur für diejenigen Flüchtlinge, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen sind. Eine nachträgliche Änderung des Flüchtlingsstatus sei nicht möglich. Allerdings sei nun die Politik in der Pflicht, all jenen syrischen Flüchtlingen einen Familiennachzug zu gewähren, denen in den vergangenen Jahren zu Unrecht die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus verweigert worden sei. Derzeit leben mehr als 150 000 Syrer mit subsidiären Schutz in Deutschland - mit einem vermutlich hohen Anteil wehrpflichtiger Männer.

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