Süddeutsche Zeitung

Datenschutz:Hände weg

Europäische Richter beraten über die Pflicht, Fingerabdrücke auch in Personalausweisen zu speichern. Bürgerrechtler warnen vor einem möglichen Identitätsdiebstahl.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

An diesem Dienstag hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mal wieder über Fragen des Datenschutzes verhandelt. Normalerweise herrscht an solchen Tagen Alarm bei den Institutionen, deren Vorschriften auf dem Prüfstand stehen, denn beim Datenschutz pflegt das oberste EU-Gericht eine erfreuliche grundrechtliche Strenge, die ihm in anderen Materien manchmal abgeht. Die Vorratsdaten, das Recht auf Vergessen - große Urteile sind in Luxemburg verkündet worden. Verglichen damit, mutet das neue Thema fast harmlos an: Es geht um die 2019 eingeführte Pflicht zur Speicherung von Fingerabdrücken im Personalausweis, in Deutschland seit 2021 in Kraft.

In den 80er-Jahren hätte man damit Zehntausende auf die Straße gekriegt. Aber nun, da man ständig gehackt und getrackt wird, nehmen viele den digitalisierten Fingerprint achselzuckend hin. Auch die SPD, die 2008 eine Fingerabdruckpflicht noch tapfer verhindert hatte, zog dieses Mal mit; immerhin bleiben die Daten auf dem Chip und landen nicht in einer Datenbank.

Geklagt hatte Detlev Sieber von der Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage, "weil ich nicht wie ein Verbrecher behandelt werden möchte". Das ist gewiss nachvollziehbar, andererseits fehlt dem Mann in diesem Punkt der historische Überblick. Zwar ist der Fingerabdruck in der Tat eng mit der Aufklärung von Verbrechen verknüpft, und zwar schon sehr lange. Im argentinischen La Plata soll 1892 ein Doppelmord mithilfe eines Fingerabdrucks aufgeklärt worden sein. Man fand auch ein Wort für die neue Lehre von den Fingermustern - Daktyloskopie.

Doch lange davor nutzten Menschen die unverwechselbaren Linien ganz ähnlich wie heute die EU. Die Fachliteratur berichtet von Darlehensverträgen aus der chinesischen Tang-Dynastie, gezeichnet im Jahr 782 mit der Signatur des Fingers. Schon damals galt es, Betrug und Urkundenfälschung zu unterbinden, indem man die Identifizierung unangreifbar machte.

Reicht es nicht, wenn die Fingerabdrücke im Reisepass gespeichert sind?

Den Bürgerrechtlern geht es freilich um ganz neue Risiken. Inzwischen identifiziert man sich vielfach mit Fingerabdruckscannern, weshalb geklaute Fingerabdruck-Scans eine Eintrittskarte in die digitale Welt sein können; man nennt das Identitätsdiebstahl. "Die in den Personalausweisen verwendeten RFID-Chips lassen sich unter Umständen auch von nicht autorisierten Scannern auslesen", hielt das Verwaltungsgericht Wiesbaden fest, das den Fall dem EuGH vorgelegt hatte.

Den Nutzen der Chips hält das Verwaltungsgericht schon deshalb für vergleichsweise gering, weil der Ausweis bei der Verhinderung illegaler Einreisen eine weitaus geringere Rolle spiele als der Reisepass, für den der EuGH die Fingerabdruckpflicht 2013 gebilligt hatte. Bei innereuropäischen Reisen werde der "Perso" ja kaum kontrolliert.

Darf man also von etwa 370 Millionen EU-Bürgern - so viele sind von der Pflicht betroffen - die Fingerabdrücke nehmen? Der EuGH scheint die Klage skeptisch zu sehen. Ob biometrische Daten nicht doch ein "angemessener Mechanismus" zur Überprüfung der Identität seien, wollte der als Berichterstatter zuständige Richter Eugene Regan in der Anhörung wissen. Und überhaupt, auf dem Ausweis befinde sich auch ein Foto: "Ist ein Bild nicht noch einschneidender als ein Fingerabdruck?"

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