EU:Zuhören, reden, verändern

Eine "Konferenz für die Zukunft Europas" soll von 2020 an das Vertrauen in die EU stärken. Zwei Jahre der Debatte sind angesetzt. Das Parlament wird schon jetzt aktiv.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Ursula von der Leyen weiß, dass ihre Kür zur künftigen Präsidentin der Europäischen Kommission Wunden hinterlassen hat: der Prozess habe "deutlich gemacht, dass wir die Art und Weise, wie wir die politische Führung unserer Organe bestimmen und wählen, auf den Prüfstand stellen müssen", schrieb sie im Sommer in ihren politischen Leitlinien. Kurz zuvor war sie von den Staats- und Regierungschefs als neue Spitzenfrau für Europa auserkoren worden - ohne bei den Europawahlen überhaupt als Spitzenkandidatin angetreten zu sein. Es gehe ihr dabei auch darum, "Vertrauen wieder aufzubauen", schrieb von der Leyen.

Das Vertrauen ist auf mehreren Ebenen angeknackst: zwischen Kommission und Parlament, zwischen Parlament und Regierungschefs, nicht zuletzt zwischen der EU und ihren Bürgern, die dachten, jetzt wird einer der Spitzenkandidaten Kommissionspräsident. Ein knappes halbes Jahr nach der Europawahl zeigt sich jedenfalls, dass das Parlament nicht darauf warten will, ob und wann von der Leyen wirklich Ernst macht mit ihrer Ankündigung. Stattdessen wollen die Abgeordneten nun selbst die Initiative ergreifen. Zum einen hat sich eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aus allen Fraktionen gebildet, die selbst Vorschläge zur Gestaltung der "Konferenz für die Zukunft Europas" machen wollen: jenem Forum, das unter Beteiligung der Bürger konkrete Ideen zur Stärkung der Demokratie in Europa machen soll. Von der Leyen zufolge soll die Konferenz 2020 beginnen und zwei Jahre dauern. Dabei soll es nicht nur um die institutionellen Fragen gehen, sondern zum Beispiel auch darum, wie Entscheidungen in der EU erleichtert werden können. "Europäische Antworten auf Migration, Steuerflucht und in der Außenpolitik werden ständig von einzelnen Mitgliedstaaten blockiert", sagt etwa der grüne Abgeordnete Daniel Freund. "Das kann man den Bürgern nicht erklären. Wir müssen darüber sprechen, ob wir diese Regeln ändern können."

Es geht auch darum, wie die Entscheidungswege verbessert werden können

Zum anderen soll Ende des Monats, spätestens aber im Dezember eine Resolution im Verfassungsausschuss verhandelt werden. Darin verpflichtet sich das Parlament, gegebenenfalls auch ein Verfahren zur Änderung der EU-Verträge anzustoßen. Der Erfolg der Konferenz hänge entscheidend davon ab, dass sie "nicht nur ein Zuhör- oder Dialogformat" werde, sondern "echte Veränderungen" in die Wege leiten könne, heißt es in dem Entwurf, auf den sich die Koordinatoren der vier größten Gruppen im Parlament bereits geeinigt haben: Christ- und Sozialdemokraten, Liberale und Grüne. Als nächstes müssen sowohl der Ausschuss als ganzer als auch das Parlamentsplenum dem Entwurf zustimmen.

Diese parteiübergreifende Einigkeit ist bemerkenswert, lag es doch vor allem an mangelnder Einigkeit zwischen den Fraktionen, dass sich die Staats- und Regierungschefs nach der Europawahl so leicht über das Spitzenkandidatenprinzip hinwegsetzen konnten. Hätten sich die Gruppen im Parlament auf den Christdemokraten Manfred Weber oder den Sozialdemokraten Frans Timmermans geeinigt, wäre der Spielraum für den Europäischen Rat viel kleiner gewesen, jemand ganz anderes vorzuschlagen. Ohne Zustimmung des Parlaments wird niemand Präsident der Europäischen Kommission.

Die Abgeordneten wissen, dass sie nach der Europawahl eine Chance vertan haben. 2024 soll es besser laufen. Ursula von der Leyen hatte angekündigt, dass die Konferenz zur Zukunft Europas bis Mitte 2020 konkrete Vorschläge machen soll, wie das Spitzenkandidatenprinzip verbessert werden könnte, bis jetzt ist von der Leyens Kommission aber noch gar nicht im Amt. Freund nennt den Zeitplan "ambitioniert", die Eile sei aber nötig, damit die neuen Regeln bei der Europawahl 2024 dann auch gelten könnten.

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