Sie kennt ihn, aber sie weiß nicht, wie er wirklich tickt. Als Ursula von der Leyen zum ersten Mal ins oberste Stockwerk des Berlaymont-Gebäudes in Brüssel einzog, hieß der US-Präsident Donald Trump, so wie heute. Die Chefin der Europäischen Kommission übernahm im Dezember 2019 das Amt von Jean-Claude Juncker, der sich verdient gemacht hatte im geschickten Umgang mit Trump. Das Foto vom Wangenkuss der beiden im Rosengarten des Weißen Hauses war eines für die Geschichtsbücher, und dass Junckers Kommission einen Handelskonflikt mit den USA damals abwenden konnte, ist ein Kernstück im Vermächtnis des Luxemburgers. Das erleichterte es von der Leyen, noch gut ein Jahr lang mit der Trump-Regierung auszukommen.
In Macht und Sichtbarkeit überstrahlt von der Leyen ihren Vorgänger deutlich, sie agiert im Stil einer Präsidentin Europas und wäre in dieser Rolle bestens darauf eingestellt, ihrem alten Unbekannten zu begegnen, der gerade einen globalen Handelskrieg anzettelt. Schließlich steht sie auch in der Verantwortung für Europas Zollpolitik. Nun war Ungarns Premier Viktor Orbán bei Trump in Florida zu Gast, als der noch nicht wieder im Weißen Haus arbeitete, die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni wohnte dessen Amtseinführung bei, und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach und scherzte mit Trump im Oval Office.
Und von der Leyen? Hat bislang keinen Termin in Washington zu verkünden. Sie schickt erst einmal ihren Handelskommissar Maroš Šefčovič vor. Der sondiert im Zollstreit mit seinen Pendants in der US-Regierung die Lage, zuletzt an diesem Freitag per Videocall, und arbeitet Europas Gegenschläge aus.
Die Kommission will nur Produkte ins Visier nehmen, die sie leicht ersetzen kann
Die werden, diese Erkenntnis hat sich durchgesetzt am zweiten Tag nach Trumps Zoll-Rundumschlag, hart ausfallen müssen; Zölle, regulatorische Strafen für US-Konzerne, womöglich sogar neue Steuern auf digitale Dienstleistungen. Sonst, heißt es in Brüssel, lasse sich der US-Präsident diesmal nicht beeindrucken. Womit man bei der ersten der großen Herausforderungen wäre, die von der Leyens Job in dieser Hinsicht ungleich schwieriger machen als den von Juncker: In den Reihen der Regierung in Washington hält man die Deals der ersten Trump-Jahre für einen Fehler, den man nicht wiederholen darf. So ist das zu vernehmen aus dem Kreis derjenigen, die in Washington für die EU vorsprechen.
In der kommenden Woche wird man klarer sehen, wie die erste Antwort der EU ausfällt. Trumps 25-prozentige Zölle auf Aluminium und Stahl, die Importe aus der EU im Wert von 26 Milliarden Euro betreffen, sollen in gleicher Höhe vergolten werden, die Liste mit möglichen Produktgruppen ist fertig – und die Kommission will nur solche Produkte ins Visier nehmen, die sie leicht ersetzen kann. Was nach den Erfahrungen der vergangenen Wochen zur zweiten Herausforderung führt: Von der Leyens Kommission muss die Reihe der 27 EU-Staaten geschlossen halten. Scherten einzelne Länder aus, fiele die Macht der EU in sich zusammen.
Nationale Befindlichkeiten sind da nicht zu unterschätzen: Irland, Italien und Frankreich etwa möchten, dass Bourbon-Whiskey von der Stahl-Vergeltungsliste gestrichen wird, nachdem Trump gedroht hat, Abgaben auf Wein und anderen Alkohol um 200 Prozent zu erhöhen. Der italienische Außenminister Antonio Tajani verlangte vor einem Treffen mit Šefčovič außerdem, dass Motorräder von der Liste gestrichen werden. Italien sorgt sich um seine Hersteller Moto Guzzi und Ducati. EU-Vertreter betonen zwar stets, wie geschlossen man gegenüber Trump auftrete – aber damit das so bleibt, stehen allein vor dem ersten Gegenschlag im Handelskonflikt noch intensive Diskussionen bevor.
Theoretisch hat die Kommission mit den Zöllen relativ freie Hand. Die Handelspolitik legt sie in einem Abstimmungsverfahren mit den Mitgliedstaaten fest, die neue Zölle nur blockieren könnten, wenn eine qualifizierte Mehrheit aus grob gesagt zwei Dritteln von ihnen dagegen stimmt. Ohne klare Mehrheit könnte die Behörde neue Einfuhrabgaben einfach durchsetzen, so wie zuletzt im vergangenen Herbst bei Elektroautos aus China. Politisch bliebe das allerdings heikel, weshalb sie vorher lieber genau zuhört.
Andere Maßnahmen würden voraussetzen, dass eine Mehrheit der Mitgliedstaaten zustimmt. Etwa indem die EU eine neue Steuer auf US-Digitalkonzerne erhebt, wie sie unter anderem der Chef und Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU), ins Spiel bringt. Apple, Google oder Facebook etwa verdienten „jede Menge Geld bei uns, leisten aber kaum einen Beitrag zur Finanzierung in Europa“, sagte er der Passauer Neuen Presse. „Wenn Trump also verstärkt auf europäische Güter schaut, werden wir verstärkt auf die amerikanischen Dienstleistungen schauen.“ Eine Abgabe ließe sich damit begründen, den Ausbau der digitalen Infrastruktur in der EU zu finanzieren, wäre politisch aber als Reaktion auf Trumps Zölle zu verstehen.
Und was, wenn auf einmal Waren aus Asien nach Europa drängen?
Das alles auf den Weg zu bringen, bräuchte Zeit. Schneller ginge es, das „Anti-Coercion Instrument“ einzusetzen, ein Gesetz gegen wirtschaftlichen Zwang, das weitreichende Sanktionen ermöglicht. Stellt die Kommission fest, dass ein Drittland die Union erpresst – was im Fall der USA wohl zu begründen wäre –, würde sie diesem Land zuerst einen Vorschlag machen, wie der Schaden behoben werden kann. Gelingt das nicht, folgt eine Gegenreaktion, die von den Mitgliedstaaten mit Mehrheit beschlossen werden müsste. Mögliche Maßnahmen: Zusatzzölle, Einschränkungen beim Zugang zu Dienstleistungen, Investitionsverbote, Ausschluss von öffentlichen Aufträgen oder Einschränkungen bei geistigem Eigentum.
Die Herausforderungen bleiben dabei nicht auf die USA beschränkt. Trumps reziproke Zölle treffen insbesondere asiatische Länder hart, die stark vom Export von Konsumgütern abhängen; Länder wie Vietnam und Kambodscha etwa und allen voran China. Nicht zuletzt Emmanuel Macron wies darauf hin, das könne dazu führen, dass diese Länder umso mehr Waren nach Europa schicken, und sprach von „massiven Folgen“ für die Industrien der EU. Schlimmstenfalls, so sagt es ein mit dem Handel betrauter EU-Beamter, müsse die EU für eine Zeit lang gewisse Produkte aussperren. Das ist eines von vielen Problemen in einem globalen Handelskrieg: Es entstehen gleich zu Beginn mehrere Fronten.