EU:Wunschliste und Realität

EU: Ein Migrant wird an Bord eines deutschen Schiffes registriert.

Ein Migrant wird an Bord eines deutschen Schiffes registriert.

(Foto: Schrader/AP )

Libyen bittet die EU um Gerät für seine Küstenwache, doch in Brüssel ist man skeptisch. Die Lage im Land gilt als instabil.

Von Daniel Brössler, Valletta

Sie haben sich, um es vorsichtig zu sagen, ein bisschen gewundert. Experten verschiedener EU-Institutionen beugten sich in den vergangenen Wochen über eine mit bunten Bildern versehene Wunschliste, die von Hochseepatrouillenbooten bis zu Feuerlöschern alles enthält, was zu einer richtigen Küstenwache dazugehört. Die Liste kommt aus Libyen, wo es zurzeit genau genommen keine Küstenwache gibt. Die Liste halten Experten daher für etwas voreilig. "Wir prüfen zusammen mit den libyschen Behörden den Bedarf", sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Donnerstag bei einem Treffen der EU-Verteidigungsminister in Malta vorsichtig. Das werde "in den nächsten Monaten" passieren. Nicht-militärische Ausrüstung will sie aber liefern. Noch "tief im Maschinenraum der Europäischen Union" verortete Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen das Thema.

Immer noch herrscht in Libyen Chaos, das Auswärtige Amt hält die Lage für unübersichtlich

Zwar wünschen sich die Europäer sehr, dass die Libyer selbst mit einer Küstenwache gegen Schleuser vorgehen und Migranten aus Seenot retten. Andererseits zeigt ihnen gerade die libysche Liste, wie schwer das noch wird. 130 Boote verschiedener Größen wünschen sich die Libyer, 38 davon "dringend", wie es in dem auf Arabisch und Englisch verfassten Papier heißt, über das das ARD-Europastudio berichtet hatte. Nach Einschätzung der Grenzschutzagentur Frontex ließe sich mit dem von den Libyern erbetenen Gerät die Küstenwache eines mittelgroßen Landes komplett ausstatten. Mit dem Wunsch nach fünf 80 bis 100 Meter langen bewaffneten und mit einem Hubschrauber ausgestatteten Hochseepatrouillenbooten sprengen die Libyer diesen Rahmen sogar noch. Es geht um teure Gerätschaften, doch woran es mangelt, ist nicht in erster Linie das Geld.

"Da sind viele Fragen offen", bremste von der Leyen. Ob Deutschland etwa Schiffe liefern könnte, stelle "sich noch überhaupt nicht". Zum deutschen Grundprinzip bei solchen Lieferungen gehöre, "dass wir einen sehr verlässlichen Partner haben, sehr genau wissen, mit wem wir zusammenarbeiten." Das sei in Libyen nicht der Fall. Ohne Planung, Personal und rechtliche Voraussetzungen ergebe die libysche Liste gar keinen Sinn, warnen auch EU-Fachleute von Eubam, einer Mission, die den Libyern beim Grenzschutz helfen soll. Die EU muss sich überdies im Klaren sein, wobei sie die Libyer unterstützen will. Geht es um den Schutz der ganzen Küste oder nur um das überschaubare Gebiet, das Schleuser für Überfahrten nutzen? Und: Wer soll das moderne Gerät warten? Die Sophia-Mission bildet zwar mittlerweile Libyer für die Küstenwache aus. Doch mehrwöchiges Training macht aus den Teilnehmern keine Schiffsingenieure.

Bisher haben 93 Libyer einen 14-wöchigen Kurs abgeschlossen, was der Italiener Enrico Credendino, Kommandeur der Sophia-Mission, den Verteidigungsministern in Malta als einen der Erfolge verkündete. Die Mission läuft seit 2015. Ihr Briefing erhielten die Minister im Hafen von Valletta zwischen zwei Kreuzfahrtschiffen auf der ITS San Guisto, dem italienischen Flaggschiff der Sophia-Mission. Sie war im Jahr 2015 unter dem Eindruck der Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer gestartet worden und verfügt derzeit über fünf Schiffe, darunter eines aus Deutschland. 422 Schleuserboote wurden seit Einsatzbeginn aus dem Verkehr gezogen und 35000 Menschen gerettet - das alles ausschließlich in internationalen Gewässern.

Die ursprünglichen Planungen sehen zwar vor, Schleuser auch in libyschen Gewässern zu verfolgen. Dafür aber fehlt eine Einladung der libyschen Regierung und eine Genehmigung durch den UN-Sicherheitsrat. Ziel der EU sei nicht, "unbedingt selbst reinzugehen", sagte Mogherini in Malta. Besser sei es, die libysche Küstenwache in die Lage zu versetzen, Schleuser zu bekämpfen und Menschenleben zu retten. Jene Küstenwache also, in der von der Leyen keinen vertrauenserweckenden Partner sieht.

Immer noch herrscht in Libyen Chaos, der Konflikt zwischen der international anerkannten Einheitsregierung in Tripolis unter Fajez al-Serraj und seinem Widersacher, General Khalifa Haftar, ist ungelöst. Als "extrem unübersichtlich und unsicher" stuft das Auswärtige Amt die Lage im Land ein. So stellt sich nicht nur die Frage, ob teure Ausrüstung sinnvoll genutzt werden kann, sondern wer sie am Ende nutzt. Aus gutem Grund gilt ein UN-Waffenembargo gegen Libyen, dessen Einhaltung ebenfalls von der Sophia-Mission mitüberwacht werden soll. Allerdings wurde von ihr bisher nicht eine einzige Waffe aufgespürt.

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