Süddeutsche Zeitung

EU:Wortbruch

Nordmazedonien und Albanien haben sich Beitrittsgespräche verdient.

Von Tobias Zick

Natürlich hat kein Land einen automatischen Anspruch darauf, früher oder später in die Europäische Union aufgenommen zu werden, nur weil es auf der Landkarte westlich des Ural-Gebirges liegt. Natürlich muss jede Regierung, die den Beitritt anstrebt, ein großes Maß an Vorleistungen vorweisen. Natürlich muss die EU ihre Lehren daraus ziehen, dass sie sich in der Vergangenheit stellenweise etwas voreilig erweitert hat. Aber deswegen nun eine Pauschalblockade zu verhängen, wie es Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gegen Nordmazedonien und Albanien tut?

Insbesondere Nordmazedonien kann man schwerlich vorwerfen, es sei nicht bereit zu Vorleistungen; das Land hat sogar seinen Namen geändert, um einen Konflikt mit dem Nachbarn Griechenland auszuräumen. Und es geht ja nun, wohlgemerkt, nicht um pro oder contra Sofortbeitritt, sondern um den Beginn von Verhandlungen, die Jahre dauern und noch von vielen Prüfsteinen gepflastert sein werden. Diese Verhandlungen zu beginnen, wie versprochen, heißt: den Gesellschaften einer gebeutelten Region Perspektiven für die politische Orientierung zu bieten. Russland, China, die Türkei, Saudi-Arabien: Die Konkurrenz schläft nicht, gerade nicht auf dem Balkan.

Macrons Motive sind vor allem innenpolitisch, ihm sitzt Marine Le Pen im Nacken, die ihm die vielen albanischen Asylbewerber in Frankreich vorhält. Aber Rechtspopulisten schwächt man nicht, indem man ihre Positionen übernimmt. Und Europa stärkt man nicht, indem man wortbrüchig wird.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2019
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