Süddeutsche Zeitung

EU:"Wir sind wieder zurück auf der Bühne"

Der EU-Außenbeauftragte Borrell fordert, Europa solle geopolitisch mehr Einfluss nehmen.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Die Waffenruhe in Libyen hängt nach Ansicht des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell "am seidenen Faden". Er hoffe, dass die Vertreter der international anerkannten Regierung sowie von General Khalifa Haftar bald zu den "5 plus 5"-Gesprächen über eine politische Lösung zusammenkommen, die eigentlich in der vergangenen Woche hätten stattfinden sollten. Die Libyen-Konferenz in Berlin bewertet Borrell im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung dennoch als großen Erfolg für die EU: "Wir sind wieder zurück auf der Bühne und bereit, das Machtvakuum zu füllen."

In Berlin hatten die Teilnehmer 55 "Schlussfolgerungen" verabschiedet, um dem Bürgerkriegsland eine Friedensperspektive zu geben. Der 72-Jährige drückt sich auch mal gänzlich undiplomatisch aus, sagt Sachen wie "Libyen ist ein Krebsgeschwür, dessen Metastasen die ganze Region durchdringen". Für ihn steht fest, dass die Europäer geeinter auftreten und in ihrer direkten Nachbarschaft mehr tun müssen: "Die Floskel 'Wir sind besorgt' wird in Brüssel viel zu oft benutzt. Im Falle Libyens ist sie jedoch angebracht."

Seit die EU-Marinemission Sophia im März 2019 auf Druck Italiens unterbrochen wurde, hätten Russland und die Türkei in Libyen auftauchen und an Einfluss gewinnen können. Die EU-Außenminister haben Borrell beauftragt, mit den zuständigen Gremien konkrete Vorschläge auszuarbeiten, wie ein Waffenstillstand überwacht und der Schmuggel von Waffen, Öl und Menschen unterbunden werden soll. Die Zeit dränge und nötig sei ein politisches Bekenntnis. "Ich hoffe, dass Operation Sophia Mitte Februar reaktiviert wird", sagte Borrell und verweist auf das nächste Treffen der Außenminister. Erforderlich ist dafür allerdings eine Einigung, wie die auf hoher See geretteten Migranten verteilt werden sollen - und bislang scheinen jene EU-Staaten, die eine Aufnahme ablehnen, kaum bereit für eine Kurskorrektur.

Wie die Skeptiker überzeugt werden können, dürfte Borrell am Montag mit Bundesaußenminister Heiko Maas in Berlin diskutieren. Weiteres Thema wird das Nuklearabkommen mit Iran sein. Die EU ist hier Garantiemacht, weshalb Borrell ständig im Kontakt ist mit Iran, Russland, China sowie den E-3, also Frankreich, Deutschland und Großbritannien. "Alle Vertragspartner wollen das Abkommen bewahren", betont er. Dass die E-3 jüngst den Streitschlichtungsmechanismus genutzt haben, sei keine Eskalation. Im Vertrag heißt es, dass die Parteien in 15 Tagen eine Lösung suchen sollen, doch Zeitdruck spürt Borrell nicht: "Alle haben sich darauf geeinigt, dass wir uns keine künstliche Deadline setzen werden." Um den Deal nach dem Austritt Washingtons zu retten, müssten die Europäer sowie Russland und China ihren Teil der Abmachung einhalten und Iran jene wirtschaftlichen Vorteile verschaffen, die im Gegenzug für den Verzicht auf Urananreicherung versprochen wurde. Wie dies gelingen kann, verrät Borrell nicht, doch für ihn zeigt der Deal eine Schwäche der EU: "Die Drittwirkung der US-Sanktionen engt unseren Spielraum ein. Wir müssen dafür kämpfen, eine wirtschaftliche strategische Souveränität zu erreichen." Experten stimmen zu: Die Stärke des Euro besser zu nutzen würde Europa helfen, geopolitisch mehr Einfluss zu haben.

Die ersten Wochen des Jahres 2020 verbrachte der Sozialdemokrat im permanenten Krisenbewältigungsmodus, doch nun hofft er, bald andere Schwerpunkte zu setzen. Gerade hat Venezuelas selbsternannter Präsident Juan Guaidó Brüssel besucht und die dortige Lage bereitet Borrell große Sorge. Zwischen Guaidó und Machthaber Nicolás Maduro gebe es nahezu keine Kommunikation mehr, weshalb neue Ansätze nötig seien: "Vielleicht müssen wir für Venezuela eine Konferenz organisieren, wie wir es gerade für Libyen getan haben."

Sehr bald möchte Borrell eine Reise antreten, die er im EU-Parlament angekündigt hatte: Er will möglichst schnell Kosovo besuchen. Dies soll den Vorwurf entkräften, als Ex-Außenminister Spaniens könne er auf dem Westbalkan nicht vermitteln, da Madrid die Unabhängigkeit Kosovos anders als 23 EU-Staaten nicht anerkennt. Seine Botschaft an Serbien und Kosovo, die in einen erbitterten Zollkrieg verwickelt sind, lautet: "Ihr habt eine europäische Perspektive, aber ihr müsst vorher eure Konflikte lösen."

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SZ vom 27.01.2020
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