Süddeutsche Zeitung

EU will Fluggäste kontrollieren:Daten her oder ich schieße

Die EU-Innenminister wollen, dass möglichst viele Fluggastdaten für Rasterfahndungen gesammelt werden - und praktizieren damit US-Methoden: einmal fliegen, jahrelang gespeichert bleiben. Jeder ist potentiell verdächtig. So haben sich die Europäer ihr Europa eigentlich nicht vorgestellt.

Heribert Prantl

Die Innenminister der Europäischen Union wollen die Grenzen zu Lande, zu Wasser und in der Luft noch sicherer machen. Zu diesem Zweck haben sie soeben beschlossen, jeden Fluggast als verdächtiges Subjekt zu betrachten. Auf innereuropäischen Flügen soll man künftig so behandelt werden, wie es bisher nur bei Flügen in die USA der Fall war: Man zahlt seinen Flug nicht nur mit Euro, sondern auch mit seinen Daten.

Möglichst viele persönliche Daten jedes Fluggastes sollen polizeilich registriert und dann bis zu fünf Jahre lang in den Sicherheits-Computern gespeichert werden - auf dass mit diesen Daten Rasterfahndungen gemacht werden können. Das ist die neue Vorratsdatenspeicherung in der Luft. Das sind die neuen Methoden, den Bürgern mehr Lust auf Europa zu machen.

Die Beachtung des Bürgers in Europa konzentriert sich auf seine Kontrolle. So haben sich die Europäer ihr Europa eigentlich nicht vorgestellt. Zu Lande gibt es die einschlägige EU-Kontroll-und-Datenspeicher-Richtlinie schon seit Jahren: Jeder, der zu Hause, im Auto oder sonstwo unterwegs telefoniert oder elektronisch kommuniziert - wann, mit wem, wie lang und von wo aus - wird sechs Monate lang gespeichert.

Während in Deutschland noch erbittert darüber gestritten wird, ob das wirklich so sein darf, und während sogar die EU-Kommission einräumt, dass das alles nicht ganz sauber ist, wird nun von den EU-Innenministern schon die nächste Daten-Großhorterei beschlossen: Alle Fluggastdaten werden gespeichert. Es geht dabei um Reiseverlaufsdaten, um Anschrift, Telefon- und Handynummern. Als die Amerikaner dies alles und noch mehr für die Transatlantik-Flüge verlangten und erzwangen, war Europa verschnupft. Jetzt schnupft Europa diese Daten selbst: Jeder ist potentiell verdächtig.

Zwar mahnt das Verfassungsgericht zu Karlsruhe immer eindringlicher, Freiheit und Privatsphäre besser zu achten als bisher; es dürfe nicht sein, dass gespeicherte Daten "die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile praktisch jeden Bürgers" möglich machen. Genau das aber ist das Ziel der EU-Maßnahmen. Das Bundesverfassungsgericht wird in die Rolle gedrängt, die im Jahr 50 vor Christus in den Geschichten von Asterix und Obelix das von den unbeugsamen Galliern bewohnte Dorf spielt: Dort wird sympathischer, punktueller - aber letztlich doch nutzloser Widerstand geleistet.

Zu Hause wäscht man seine Hände in Unschuld

Deutsche Innenminister pfeifen meist auf Karlsruhe, sobald sie sich auf der europäischen Bühne bewegen. Was zu Hause nicht durchsetzbar ist, wird gern über die Bande, via Brüssel, durchgesetzt; zu Hause wäscht man seine Hände in Unschuld: Europa habe halt seinen Preis, heißt es, man dürfe sich der Rechtseinheit nicht entgegenstellen. So war es beim Asylrecht, so ist es beim Recht der inneren Sicherheit.

Bei Gelegenheit der EU-Innenministerkonferenz mag man sich an den europäischen Gründungsmythos erinnern: Zeus hat der von ihm entführten Königstochter Europa drei Geschenke gemacht: einen immer treffenden Speer, den schnellsten Hund der Welt - und Talos, einen Bronze-Riesen, der täglich um Kreta herumläuft und Eindringlinge verjagt. Die EU-Innenminister haben diesen Talos reaktiviert, geklont und aufgerüstet; man will ihn nicht mehr nur an den Außengrenzen, sondern auch wieder an den Binnengrenzen patrouillieren lassen. Und Talos soll auch noch fliegen, um in der Luft die Daten zu kassieren.

Kurz: Das Grenzregime soll noch strenger, schärfer, rücksichtsloser werden - zur Sicherheit und zur Flüchtlingsabwehr. Stark bewachte Außengrenzen sollen Flüchtlinge abhalten, und wenn dies nicht gelingt, sollen die Binnenkontrollen zugreifen. Die europäische Demokratie ist nämlich eine exklusive Veranstaltung, die den Reichtum drinnen und die Not draußen behalten möchte.

So sieht der vielgelobte Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aus.

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SZ vom 27.04.2012/fran
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