Europaparlament:Flirtet Weber zu sehr mit den Rechten?

Europaparlament: Manfred Weber sitzt der Europäischen Volkspartei und deren Fraktion im EU-Parlament vor. Er kämpft gegen die schwindende Macht der Parteienfamilie an.

Manfred Weber sitzt der Europäischen Volkspartei und deren Fraktion im EU-Parlament vor. Er kämpft gegen die schwindende Macht der Parteienfamilie an.

(Foto: Pasquale Gargano/Imago)

EVP-Chef Manfred Weber bringt neben Ursula von der Leyen noch eine andere Kandidatin für die Europawahl 2024 ins Gespräch. Das löst in Brüssel Erstaunen aus.

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Im Politsprech der EU gibt es ein Wort, das nur auf Deutsch existiert: Spitzenkandidat. Gemeint ist damit, sehr knapp gesagt, jene Politikerin oder jener Politiker, die oder der eine europäische Parteienfamilie in die Europawahl führt und dann im Falle eines Siegs das Amt der Präsidentin oder des Präsidenten der EU-Kommission übernehmen soll. Erfunden haben diese Konstruktion einst die Deutschen, weswegen auch englisch- oder französischsprachige Angehörige der Brüsseler Blase stets nur den Artikel anpassen, aber nicht das komplizierte Nomen: the Spitzenkandidat oder le Spitzenkandidat.

Dem deutschen CSU-Politiker Manfred Weber, der sowohl Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) als auch Fraktionschef dieser bürgerlich-konservativen Parteienfamilie im Europaparlament ist, bereitet der Begriff natürlich keine sprachlichen Probleme. Er beherrscht auch den Plural sowie die feminine Form. Das bewies er vor einigen Tagen in einem Interview. "Beide wären hervorragende Spitzenkandidatinnen", sagte Weber da und erklärte auch gleich, wen er mit "beide" meinte: Ursula von der Leyen und Roberta Metsola.

Roberta Metsola ist zweifellos ein großes politisches Talent. Aber ...

Das wiederum löste in Brüssel ein gewisses Erstaunen aus. Denn eigentlich, so die herrschende Meinung in EU-Kreisen, gibt es nur eine natürliche Spitzenkandidatin der EVP für die Europawahl im Frühjahr 2024: Ursula von der Leyen. Die CDU-Politikerin stammt wie Weber aus Deutschland, vor allem aber ist sie die amtierende Kommissionspräsidentin. Trotzdem hat Weber nun auch Metsola für die Kandidatur ins Gespräch gebracht - und damit de facto für das Amt, das von der Leyen innehat.

Die 44-jährige Metsola gehört zwar ebenfalls der EVP an, sie ist Präsidentin des Europaparlaments und zweifellos eins der größten politischen Talente, die Europas Konservative haben. Aber sie stammt aus dem Kleinststaat Malta und war nie Regierungsmitglied in einem EU-Land - zwei Faktoren, die nach den geltenden Brüsseler Regeln eine Beförderung zur Kommissionspräsidentin so gut wie unmöglich machen.

Bei der Besetzung des höchsten Kommissionspostens redet zwar auch das EU-Parlament mit - und damit Weber als Chef der stärksten Fraktion. Aber eben nicht nur. Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedsländer haben das Vorschlagsrecht. Und sie bevorzugen an der Spitze der Kommission "einen der Ihren", wie es in Brüssel heißt, sprich: einen ehemaligen Premier oder Minister.

Weber selbst hat das 2019 schmerzhaft erfahren, als er der EVP-Spitzenkandidat war und mit seiner Partei die Europawahl gewann. Er wurde dann aber nicht Kommissionspräsident, weil Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die damalige Kanzlerin Angela Merkel das Amt der früheren Bundesministerin Ursula von der Leyen gaben.

Warum sollte Friedrich Merz da mitmachen?

Auch die Vorsitzenden der Parteien in Europa, die der EVP angehören, haben Einfluss auf die Kandidatenauswahl. Konkret heißt das: CDU-Chef Friedrich Merz müsste zustimmen, dass seine Partei mit der in Deutschland eher unbekannten Metsola an der Spitze in den Europawahlkampf zieht anstatt mit von der Leyen. Eine Doppelspitze, bei der Metsola die EVP-Spitzenkandidatur auf europäischer Ebene bekommt, von der Leyen dagegen nur die Wahlliste der Union in Deutschland anführt, gilt als unwahrscheinlich. Das sei dem Wähler nicht zu vermitteln, heißt es in Brüssel. Ebenso wenig wäre so eine Juniorstellung wohl auch von der Leyen zu vermitteln.

Zudem würde laut Koalitionsvertrag der deutsche Posten in der EU-Kommission an die Grünen fallen, wenn die Präsidentin der Behörde keine Deutsche mehr ist. Die CDU würde somit ein Kommissarsamt verlieren. Warum sollte Merz da mitmachen?

Nach Ansicht der meisten Brüsseler Beobachter ergibt Webers Vorstoß daher nur Sinn, wenn er als eine Art Plan B gemeint ist - für den Fall, dass von der Leyen 2024 nicht Spitzenkandidatin werden möchte. Die Kommissionspräsidentin ließ kürzlich wissen, dass sie darüber noch nicht entschieden habe. Sollte von der Leyen, die nicht als besonders begeisterte Wahlkämpferin gilt, auf die Spitzenkandidatur verzichten, hätte Weber mit der ebenso charismatischen wie ehrgeizigen Metsola eine gute Ersatzkandidatin.

Dass Weber die Europawahl 2024 bereits fest im Blick hat und entschlossen ist, danach bei der Verteilung der europäischen Führungsposten mitzureden, zeigt aber nicht nur sein Taktieren bei der Spitzenkandidatin. Zugleich bemüht sich der EVP-Vorsitzende, seine konservative Parteienfamilie und deren politischen Einfluss zu sichern und zu erweitern. Denn Weber hat zwei Probleme: Zum einen sinkt die Zahl der EVP-Abgeordneten seit Jahren, auch wenn die Partei immer noch die größte Fraktion im Europaparlament stellt.

Zum anderen nimmt die Zahl der großen, wichtigen EU-Staaten ab, die von Politikern regiert werden, deren Parteien zur EVP gehören. Der Wechsel in Deutschland von der CDU-Kanzlerin Angela Merkel zum SPD-Kanzler Olaf Scholz war in dieser Hinsicht ein harter Schlag für Weber. Der Einfluss der EVP im Europäischen Rat, dem Gremium der Mitgliedsländer, in dem die wichtigsten Entscheidungen fallen, reduzierte sich beträchtlich.

Weber sucht neue Verbündete

Weber versucht daher zurzeit, neue Verbündete in der teils rechtskonservativen, teils rechtspopulistischen, teils offen europafeindlichen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) zu finden. In mehreren EU-Staaten gibt es bereits Koalitionen zwischen EVP- und EKR-Parteien, etwa in Italien, Schweden und Tschechien. Im Europaparlament war die Abgrenzung der gemäßigten zur harten Rechten bisher hingegen strikter.

Diese Grenze weicht Weber nun auf. So bemüht er sich demonstrativ um ein gutes Verhältnis zur neuen italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni. Ihre Partei, die postfaschistischen Fratelli d'Italia, gehört im Europaparlament zur EKR-Fraktion. Weber, dem niemand ernsthaft rechtsnationale Tendenzen vorwerfen kann, erklärt sein Werben um die Italienerin zwar stets damit, dass er nur "Brücken bauen" und "im Gespräch bleiben" wolle. Meloni zu isolieren, helfe ja niemandem, sagt er, zumal sie sich klar zur EU und zum harten Kurs gegen Russland bekenne und den Rechtsstaat in Italien nicht angreife. Aber vermutlich sucht Weber nach dem Regierungswechsel in Berlin eben auch eine neue starke Verbündete im Europäischen Rat, da Merkel nun fehlt.

Auch die weit rechts stehenden Schwedendemokraten, die Webers EVP-Parteifreund Ulf Kristersson in Stockholm zum Amt des Regierungschefs verholfen haben, sind Mitglied der EKR. Könnte Weber die Abgeordneten dieser Partei oder der Fratelli d'Italia hinüber in seine EVP-Fraktion holen oder anderweitig Bündnisse mit ihnen schließen, würde das die Mandatsverluste der vergangenen Jahre dämpfen.

Allerdings ist Webers Strategie nicht unumstritten. Sozialdemokraten und Grüne im Europaparlament geißeln den EVP-Chef wegen dessen Zusammenarbeit mit "Faschisten". Das muss Weber nicht besonders stören. Doch es gibt auch in der EVP Abgeordnete, die zur EKR einen klaren Abstand halten wollen. Dazu gehören deutsche Unionspolitiker, aber auch polnische EVP-Parlamentarier. Sie wollen keinesfalls mit den rechtsnationalen Europaverächtern von der Regierungspartei PiS, die ebenfalls zur EKR zählen, gemeinsame Sache machen.

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