EU-Wahl:Wirtshaus, Kirche, Friseursalon - alles für Europa

Interview of leader of the European People's Party in the European Parliament, German Manfred Weber, Sevilla, Spain - 04 Nov 2018

Diskret und offenbar erfolgreich wirbt Manfred Weber um Stimmen für den Kongress der Europäischen Volkspartei, der am Mittwoch beginnt. Der CSU-Politiker will Nachfolger von Jean-Claude Juncker werden.

(Foto: Jose Manuel Vidal/EPA-EFE/REX/Shutterstock)
  • Auf dem Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) in Helsinki entscheidet sich ab diesem Mittwoch, wer als Spitzenkandidat in die Europawahl geht.
  • Weber wirbt mit Bodenständigkeit, während sich der ehemalige finnische Ministerpräsident Stubb als polyglotte Alternative inszeniert.
  • Den größten inhaltlichen Dissens gibt es beim Umgang mit Ungarns rechtem Ministerpräsidenten Orbán.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Manfred Weber hat einen Heimatfilm gedreht. Er ist dafür von Brüssel nach Hause gereist, um zu zeigen, wo er herkommt und wofür er steht. Man sieht also: Weber im Wirtshaus, Weber in der Kirche, Weber im Friseursalon seiner Gemeinde Wildenberg. Hier, sagt der CSU-Mann, kenne er jeden. Und hier in Niederbayern sei es wie überall in der Europäischen Union: "Die Menschen fordern uns auf, Europa nach Hause zu bringen." Wie es sich in der EU gehört, spricht er englisch, es sollen ihn ja alle verstehen.

Der Zwei-Minuten-Clip ist so etwas wie ein Bewerbungsvideo. Der Kurzfilm soll beim Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) laufen, der an diesem Mittwoch in Helsinki beginnt. Dort will Weber zum christdemokratischen Spitzenkandidaten für die Europawahl im kommenden Frühjahr gewählt werden. Er möchte nach dem mächtigsten Amt greifen, das die Europäische Union zu vergeben hat: Präsident der EU-Kommission.

Weber wird in der EVP von allen Regierungschefs unterstützt, auch vom umstrittenen Orbán

Auch sein Herausforderer hat ein paar Momentaufnahmen vor der Kamera komponiert. Doch anders als Weber setzt Alexander Stubb nicht auf ländliche Idylle, sondern auf Bilder, die ihn mit den Mächtigen in Europa zeigen. Stubb mit Donald Tusk, Stubb mit Jean-Claude Juncker, Stubb mit Angela Merkel. Der Finne inszeniert sich als Mann von Welt, auf Augenhöhe mit den Staats- und Regierungschefs, zu deren Kreis er selber einmal zählte. Der ehemalige finnische Ministerpräsident will sich als polyglotte Alternative zum eher bodenständigen Weber präsentieren.

Beide sind in den vergangenen Wochen durch Europa getourt, um für sich zu werben. Weber gilt in der EVP als Favorit. Der für CSU-Verhältnisse zurückhaltende Niederbayer verstand es offenbar, diskret und erfolgreich um Stimmen zu buhlen. Denn genau darum geht es ja: Wer Spitzenkandidat werden will, muss die Mehrheit der 758 Delegierten für sich gewinnen. Weber hat die Unterstützung aller EVP-Regierungschefs, von Angela Merkel bis Viktor Orbán. Neben dem Rückhalt der CDU und der CSU konnte er sich auch eine breite Zustimmung in anderen großen Delegiertenverbänden sichern, etwa bei der spanischen Partido Popular oder der italienischen Forza Italia. Stubb wiederum hat die meisten Parteien der nordischen und baltischen Staaten hinter sich, die allerdings weitaus weniger Delegierte stellen.

Bislang ging Weber einer direkten Auseinandersetzung mit Stubb aus dem Weg. Der 50-jährige Finne hatte den vier Jahre jüngeren Deutschen zu öffentlichen Diskussionsveranstaltungen aufgefordert. Doch Weber lehnte Auftritte, wie es sie etwa bei den US-Präsidentschaftsvorwahlen gibt, kategorisch ab. Erst am Mittwochabend wird es auf Drängen von Stubb eine Debatte auf dem Parteikongress in Helsinki geben. Am Tag darauf findet die geheime Wahl des Spitzenkandidaten statt.

Stubb will vor allem mit seiner Eloquenz punkten. Anders als Weber, der neben seiner Muttersprache nur Englisch beherrscht, parliert der Finne auch auf Französisch und Deutsch. Stubb versteht es, seine Botschaften in Geschichten zu verpacken, die hängen bleiben. Allerdings kann der derzeitige Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank sein Selbstbewusstsein nur schwer verstecken. Weber wiederum pflegt einen unaufgeregteren Stil, den viele in der EVP schätzen lernten; seit vier Jahren steht der Deutsche nun an der Spitze der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament.

Politisch gibt es keine fundamentalen Unterschiede zwischen dem CSU-Vize und dem ehemaligen Parteivorsitzenden der finnischen Sammlungspartei (Kok). So wollen etwa beide die Migration nach Europa möglichst stoppen. Umstrittener ist da schon die Frage, wie Europa mit der Türkei umgehen soll. Während Weber für einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen plädiert, will Stubb die Tür nicht ganz schließen.

Für den größten Dissens zwischen den Kandidaten sorgt allerdings ein EVP-Mitglied. Stubb würde die Partei von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán am liebsten gleich aus der EVP werfen. Weber hält davon nichts; er versteht sich als Brückenbauer und will versuchen, die Fidesz an Bord zu halten.

Wenn es beim Parteikongress in Helsinki ein Thema gibt, mit dem Stubb noch Delegierte auf seine Seite ziehen könnte, ist es Webers widersprüchliche Haltung gegenüber Orbán. Wenn der CSU-Mann etwa über die Grenzzaunpolitik des ungarischen Premiers spricht, fordert er "keine Kritik, sondern Respekt und Dank". Andererseits stimmte er zuletzt für die Einleitung eines Sanktionsverfahrens nach Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Ungarn.

Um Webers offene Flanke zu schließen, ist es kein Zufall, dass die EVP in Helsinki eine sogenannte Notfall-Resolution verabschieden will, in der all das, wofür Orbán steht, aufs Schärfste kritisiert wird. Ungarn wird im Entwurf zwar nicht namentlich erwähnt, aber es ist eindeutig, an wen sich das Papier richtet. "Populistischer und nationalistischer Extremismus, Desinformation, Diskriminierung und Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit stellen die größte Gefahr für Freiheit und Demokratie in Europa seit dem Fall des Eisernen Vorhangs dar", heißt es. Deutlicher geht es kaum.

Sollte Weber EVP-Spitzenkandidat werden, hat er gute Chancen, Juncker als Kommissionschef nachzufolgen - aber keine Garantie. Die EVP dürfte zwar erneut stärkste Kraft bei der Europawahl werden; ob sie am Ende auch wieder den Kommissionspräsidenten stellt, ist aber noch offen.

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