Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Ansturm der Populisten

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Von Karoline Meta Beisel und Alexander Mühlauer, Brüssel

Noch ist es ziemlich still. Die Spitzenkandidaten für die Europawahl lächeln zwar schon von Wahlplakaten und touren durch die Hauptstädte der EU. Doch die meisten Bürger bekommen davon nichts mit. Dabei sind sie bald aufgerufen, ein neues Europäisches Parlament zu wählen - in gerade mal drei Monaten ist es so weit. Ende Mai bestimmen etwa 400 Millionen EU-Bürger über die Zukunft ihrer Gemeinschaft. Sie entscheiden über den Kurs, den Europa in den kommenden fünf Jahren einschlagen soll. Wie es aussieht, steht der Kontinent vor einer gewaltigen Probe.

Es gärt in Europa. Egal ob in Italien, Polen oder Frankreich: Viele Bürger haben das Gefühl, dass die EU ihr Versprechen von Sicherheit und Wohlstand nicht mehr einlöst. Die Euro- und die Flüchtlingskrise haben in den vergangenen Jahren tiefe Gräben hinterlassen. Hinzu kommen der Brexit, die Spannungen im transatlantischen Verhältnis und die Angst, von Chinas Wirtschaftsmacht abgehängt zu werden.

All diese Sorgen treiben den EU-Gegnern Wähler in die Arme. Bei der Europawahl droht eine populistische Revolte: EU-Kritiker dürften laut Umfragen so viele Stimmen gewinnen wie nie zuvor. Und erstmals seit der ersten Direktwahl im Jahr 1979 werden Christ- und Sozialdemokraten wohl ihre absolute Mehrheit verlieren. Der EU steht nicht nur ein Dauerstreit zwischen Pro- und Antieuropäern bevor; es droht auch ein Stillstand in der Gesetzgebung. Schon jetzt ist es den Bürgern schwer vermittelbar, warum es in der EU oft lange dauert, Entscheidungen zu treffen, etwa bei der gerechten Verteilung von Asylsuchenden. Kompromisse zu finden, das wird künftig noch schwieriger.

Nicht nur in der Sache liegen Welten zwischen den Parteien. Auch personell gibt es Probleme, die als unüberbrückbar gelten. Bislang bestimmen die Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokraten (S&D) das Geschehen in Straßburg und Brüssel. Doch einer Umfrage des EU-Parlaments zufolge dürfte es damit bald vorbei sein: Den Volksparteien drohen deutliche Verluste. Sie werden sich wohl mit anderen Gruppen zusammenschließen müssen, um einen neuen EU-Kommissionspräsidenten wählen zu können. Möglich wäre etwa eine Koalition mit den Liberalen und der Bewegung La République en Marche des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die sich bislang noch keiner etablierten Fraktion angeschlossen hat.

Es kann aber sein, dass es noch eine weitere Gruppe braucht, um eine stabile Mehrheit zu erreichen - zum Beispiel die Grünen. Das wird alles andere als einfach. Denn wie sollten die Grünen ihren Wählern erklären, dass sie den EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU) zum Nachfolger Jean-Claude Junckers küren, solange die Partei von Ungarns Premier Viktor Orbán Mitglied der EVP ist? Nun gibt es in der EVP zwar immer mehr Stimmen, die den Parteiausschluss von Orbáns Fidesz fordern, weil sie gegen die EU hetzt - doch zum endgültigen Bruch kam es bislang nicht.

Auch bei den Sozialdemokraten gibt es zwielichtige Politiker

Nicht nur die Christdemokraten haben Politiker in ihren Reihen, die es mit dem Rechtsstaat nicht so genau nehmen. Der sozialdemokratische Spitzenkandidat Frans Timmermans mag die zögerliche Haltung der EVP gegenüber Orbán kritisieren, muss aber selbst zugeben, dass in Rumänien und Malta Parteifreunde regieren, die wegen Korruptionsvorwürfen ins Zwielicht geraten sind. Und die Liberalen haben in dem Tschechen Andrej Babiš einen Ministerpräsidenten, der um Anti-EU-Töne nicht gerade verlegen ist.

Im Kreis der Staats- und Regierungschefs zeigt sich bereits, wie stark sich die politische Landschaft seit der letzten Europawahl verändert hat. In Italien regieren nicht mehr Sozialdemokraten, sondern Populisten. In Polen haben Nationalisten das Sagen. Und in Spanien wird wenige Wochen vor der Europawahl ein neues Parlament gewählt; die Sozialisten dürften die Macht verlieren, Populisten zulegen. Wen auch immer die Regierenden in Europas Hauptstädten als Kommissare nach Brüssel schicken - so manche Personalie dürfte erheblichen Streit auslösen.

Je stärker Befürworter und Gegner der EU aneinandergeraten, desto größer ist die Gefahr, dass sich die Union selbst lähmt. Blockieren sich die Institutionen gegenseitig, droht Europa handlungsunfähig zu werden. Das wäre ganz im Sinne von autokratischen Staaten wie Russland und China. Auch US-Präsident Donald Trump hätte sicher nichts dagegen.

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Quelle:
SZ vom 23.02.2019
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