Klimakrise:EU-Kommission will Gesetz zum Schutz der Wälder aufschieben

Lesezeit: 4 Min.

Die EU-weit einheitliche Regelung für entwaldungsfreie Lieferketten muss praktikabel und bürokratiearm sein, fordert auch das Bundeslandwirtschaftsministerium. (Foto: Vitor Marigo/Imago)

Schokolade nur, wenn dafür kein Regenwald weichen muss? Das Gleiche gilt von 2025 an auch für Produkte wie Kaffeebohnen, Palmöl und Rindfleisch. Doch der Widerstand ist enorm. Begräbt Kommissionschefin von der Leyen noch eines ihrer Green-Deal-Gesetze?

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Sie telefonieren, schreiben E-Mails und Chatnachrichten auf dem Telefon, sehen sich regelmäßig. Aber wenn es ernst wird, dann kommunizieren Vertreter der europäischen Institutionen noch immer per Brief. Vor wenigen Tagen formulierten einflussreiche Abgeordnete des EU-Parlaments Warnungen an die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen. Das eine Schreiben hat Manfred Weber (CSU) unterschrieben, Partei- und Fraktionschef der Europäischen Volkspartei EVP. Die EU-Entwaldungsverordnung, ein zentrales Gesetz in von der Leyens Klimaschutzprogramm, müsse um mindestens zwölf Monate verschoben werden, forderte er. Sollte sie wie geplant Ende dieses Jahres in Kraft treten, werde dies „das Vertrauen der Bürger in die EU-Institutionen weiter gefährden“.

Der Streit um diese Verordnung wird seit Monaten immer lauter geführt. Das verrät viel darüber, welch schweren Stand der Grüne Deal, das Herzstück der ersten Amtszeit von der Leyens, inzwischen hat. Wenn ein längst beschlossenes Klimagesetz nach 18 Monaten Übergangsfrist in Kraft tritt, erodiert das Vertrauen in die EU noch weiter? Ja, so weit ist es gekommen. Noch im Sommer 2023 hatten sich die Mitgliedstaaten und Vertreter des Parlaments voller Überzeugung auf die neuen Regeln geeinigt. Chefunterhändler des Parlaments war der Südtiroler Herbert Dorfmann, ein EVP-Vertreter.

Auch Papier, Lederwaren und Reifen sind betroffen

Vom kommenden Jahr an, so sieht es die Verordnung (kurz EUDR) vor, sollen keine Güter mehr die EU erreichen, für deren Herstellung seit Ende 2020 Wald weichen musste. Im Fokus stehen Rohstoffe wie Soja, Palmöl, Holz, Kakao, Kaffee, Rindfleisch und Kautschuk sowie daraus hergestellte Produkte – mithin auch Papier, Lederwaren oder Reifen. Unternehmen, die diese Waren in die EU importieren oder hier verkaufen, müssen nachweisen, dass ihre Lieferketten frei von Entwaldung sind und die Rohstoffe legal in den Herkunftsländern produziert wurden, und das alles den Behörden melden.

Für Konsumenten steckt darin das Versprechen, dass für ihre Schokolade kein Regenwald mehr weichen musste. Für die EU soll das Gesetz ein Hebel sein, um zu Hause und weltweit Bäume zu schützen, von denen jeder einzelne im Kampf gegen die globale Erwärmung gebraucht wird. Kritiker der Verordnung sehen vor allem die Gefahr von Versorgungsengpässen und steigenden Preisen.

Drei Monate vor Inkrafttreten des Regelwerks sind nun weder die Kommission noch die vielen Tausend betroffenen Firmen ausreichend vorbereitet; auch im Ausland ist der Widerstand groß. EVP-Chef Weber gibt in seinem Brief zu bedenken: Zahlreiche Firmen, insbesondere kleine und mittelständische Betriebe, seien „nicht in der Lage, die komplexen Elemente der Verordnung einzuhalten und zu bewältigen“. Auch die Bundesregierung setzt sich für eine Verschiebung ein; Bundeskanzler Olaf Scholz bat von der Leyen persönlich darum. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir forderte Anfang der Woche, die Verordnung müsse um ein halbes Jahr verschoben werden. Es sei „absurd“, dass die Kommission das wichtige Anliegen womöglich an die Wand fahre, sagte der Grünen-Politiker.

SZ PlusMeinungUmwelt
:Unter die Räder geraten

Kommentar von Josef Kelnberger

„Technisch und logistisch nicht umsetzbar“, kritisieren Süßwarenhersteller

Damit greift er die Klagelieder auf, die aus vielen Branchen zu hören sind. Die Süßwarenhersteller etwa, auf die wegen ihrer Kakao- und Palmöl-Importe ein enormer Aufwand zukommt, sind ratlos. Man sehe sich derzeit nicht in der Lage, die Anforderungen der EUDR zu erfüllen, kritisiert der Hauptgeschäftsführer des deutschen Süßwaren-Branchenverbands BDSI, Carsten Bernoth. „Besonders kritisch ist das Fehlen eines rechtzeitig bereitgestellten IT-Systems durch die EU-Kommission, das erst kurz vor dem Stichtag einsatzbereit sein soll“, sagt er. „Der bürokratische Aufwand und die zu erfassende Datenmenge sind für die Endverarbeiter derzeit sowohl technisch als auch logistisch nicht umsetzbar.“ Es drohe ein „Fehlstart“ mit weitreichenden Folgen für die Versorgung mit Agrarrohstoffen und Lebensmitteln.

Der Fachverband der österreichischen Holzindustrie schlägt in dieselbe Kerbe. Eine „rechtssichere und wirtschaftliche Anwendung der EUDR“ sei derzeit nicht möglich, sagt der Obmann des Verbands, Herbert Jöbstl, und fordert ein Jahr Aufschub. „Die bisherige Verordnung ist nicht auf die betrieblichen Abläufe in der Holzwirtschaft anwendbar“, sagt er. Das Kernproblem – „viel unnütze Bürokratie ohne wirklichen Zusatznutzen“ – bleibe bestehen.

Die Befürworter des Gesetzes wollen davon nichts wissen. Im Gegenteil sind sie der Ansicht, dass es beim Schutz der Wälder der Welt keine Zeit zu verlieren gibt. Zumal es die Europäer sind, die mit ihrem Konsum für zehn Prozent der weltweiten Entwaldung verantwortlich sind – was man schon in der Problembeschreibung der EU-Kommission nachlesen kann. In einem zweiten Brief, der Ursula von der Leyen vor wenigen Tagen erreicht hat, warnen die Grünen im EU-Parlament: Jeder Vorschlag, das Gesetz zu verzögern oder abzuschwächen, wäre „ein schwerer Schlag für die Glaubwürdigkeit der EU und ihre Fähigkeit, Stabilität und Sicherheit zu bieten“.

Die Grünen mahnen den versprochenen Leitfaden an

Mit initiiert hat dieses zweite Schreiben die deutsche Grüne und Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im Parlament, Anna Cavazzini. „Wir müssen aufhören, durch unseren Konsum Öl ins Feuer zu gießen“, sagt sie. Statt als „Brandbeschleuniger“ zu agieren, sollten die Konservativen „mit uns Grünen zusammen die Europäische Kommission auf eine zügige und reibungslose Umsetzung drängen.“ Die Kommission solle endlich die fehlenden Instrumente vorlegen wie etwa den versprochenen Leitfaden für Unternehmen.

Danach gefragt, hält sich die Behörde mit klaren Aussagen zurück. Ein Sprecher betonte lediglich: „Die Kommission arbeitet intensiv daran, dass alle bereit sind, trotz eines ambitionierten Zeitplans.“ Das Gesetz sei klar genug, „um den Interessengruppen die Vorbereitung zu ermöglichen.“ Dafür brauche es auch nicht unbedingt die versprochenen Leitlinien.

Die Angelegenheit liegt nicht erst seit den Briefen an höchster Stelle im Kabinett Ursula von der Leyens. Vergangene Woche habe sie der EVP versprochen, eine Lösung vorzulegen, heißt es aus dem Umfeld von Manfred Weber. Diese soll innerhalb der kommenden Tage oder Wochen stehen.

Um die Verordnung zu ändern, müssten Mitgliedstaaten und Parlament sie allerdings neu verhandeln. Die Kommission könnte auch ein geändertes Gesetz in einem Eilverfahren direkt ans Parlament zur Abstimmung im Plenum schicken, so wie sie es nach den Bauernprotesten Anfang des Jahres in der Agrarpolitik gemacht hat. Allerdings: Auch das würde ermöglichen, das Gesetz noch einmal komplett zu ändern.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungUnternehmen
:Europa muss eine robuste eigene Industriepolitik entwickeln

Kommentar von Florian Müller

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: