Die Bedenken waren unverändert groß, als sich Ursula von der Leyen den Plan zu eigen machte. Russland und seine Oligarchen müssten die Ukraine entschädigen für die Zerstörung, sie müssten die Kosten des Wiederaufbaus tragen, sagte sie schon Ende November: "Wir haben die Mittel dafür." 300 Milliarden Euro an Reserven der russischen Zentralbank seien blockiert und 19 Milliarden Euro an Oligarchen-Geldern. Diese Summen könne man investieren, befand die EU-Kommissionspräsidentin. "Die Erlöse würden wir dann für die Ukraine verwenden", sagte sie. Würde man den Kreml auf diesem Weg dazu zwingen können, für den Wiederaufbau zu bezahlen, noch während des Krieges?
Eine Antwort darauf scheint nun zum ersten Mal greifbar. Von der Leyen kündigte am Mittwoch an, noch vor der Sommerpause einen Vorschlag präsentieren zu wollen, wie sanktioniertes russisches Vermögen der Ukraine zugutekommen könnte. Details ließ sie offen. Davon, das Geld einfach zu investieren, sprach sie nun nicht mehr. Die Regierung in Kiew macht schon lange Druck in der Frage und weiß dabei die osteuropäischen Verbündeten an ihrer Seite, EU-Ratspräsident Charles Michel hat sich ebenso dafür ausgesprochen wie der Außenbeauftragte Josep Borrell. Aber unter den EU-Staaten überwiegt die Skepsis. Der Plan ist riskant, keine Option ist ohne Haken, und jede Verwendung von Vermögen, das Russland gehört, wäre juristisches Neuland.
Nach Russlands Überfall auf die Ukraine hatte die EU Geld der russischen Zentralbank eingefroren
Nach Kriegsbeginn hatte die westliche Allianz mit beispiellosen Sanktionen reagiert, gegen Oligarchen und Politiker und gegen den russischen Staat, es gibt Handelsverbote, Preisdeckel und mit dem gerade beschlossenen elften Sanktionspaket der EU auch neue Maßnahmen gegen Sanktionsumgehungen.
Direkt nach Russlands Überfall auf sein Nachbarland hatten die EU und ihre Partner das Auslandsvermögen der russischen Zentralbank eingefroren. Die Zahl von 300 Milliarden Dollar geht auf Schätzungen zurück, sie basiert im Wesentlichen auf damals noch turnusgemäß veröffentlichten Dokumenten der Moskauer Notenbank. Zwei Drittel dieses Vermögens befanden sich demnach innerhalb der EU. Und dort wiederum liegt ein Großteil bei sogenannten Zentralverwahrern - Unternehmen, die wie riesige Tresore Wertpapiere und anderes Vermögen im Auftrag von Banken verwalten.
Der ursprüngliche Gedanke, das blockierte Zentralbankvermögen zu beschlagnahmen und für die Ukraine zu verwenden, ist mittlerweile vom Tisch. Das wäre ein Novum und ein Bruch internationalen Rechts gewesen, der böse Folgen für das Vertrauen in den Euro und die Finanzstabilität hätte haben können. Andere Staaten könnten einerseits genauso agieren und europäisches Vermögen beschlagnahmen - und andererseits ihr in Europa geparktes Geld abziehen, als Vorsichtsmaßnahme. Die Rolle des Euros als Reservewährung geriete in Gefahr.
Das Geld zu investieren, ist schwierig, eine Steuer für Treuhänder brächte wohl nur wenig
Auch die Idee, das russische Geld zu investieren, um die Erträge an die Ukraine zu überweisen, wird sich kaum umsetzen lassen. Denn das Risiko trüge die EU, mit einer kaum zu vermittelnden Schadenersatzpflicht, wenn sie dabei Verluste macht. Außerdem ist unklar, ob nicht auch diese Profite dem russischen Staat als Eigentümer zustünden.
Bleibt nur noch eine dritte Möglichkeit: Man könnte die Treuhänder, die das Geld beherbergen, mit einer Sondersteuer belegen. Denn während diese das sanktionierte Vermögen nicht bewegen dürfen, verdienen sie daran Geld. Diesen Gewinn dürfen sie vereinnahmen. Verglichen mit den anderen beiden Optionen käme dabei allerdings eine überschaubare Millionensumme heraus, die angesichts des immensen Bedarfs an Hilfsgeldern für die Ukraine kaum helfen würden. Schon jetzt steht fest, dass der Wiederaufbau mindestens mehrere Hundert Milliarden Euro kosten wird.
Außerdem: Wenn die Kommission einen Vorschlag macht, müsste sich der Ministerrat damit auseinandersetzen und eine gemeinsame Position finden. Bis zur Umsetzung verginge viel Zeit.
Von den großen Ankündigungen von der Leyens und anderer EU-Vertreter könnte so am Ende nicht mehr übrig bleiben als ein symbolischer Akt. Im Rat gibt es kaum Interesse daran, die Staatenimmunität - die von einer Beschlagnahmung russischen Vermögens berührt wäre - infrage zu stellen. Einige hätten sich da wohl zu früh festgelegt, sagt ein EU-Diplomat, und kämen von dieser Rhetorik jetzt nicht mehr herunter.
Das elfte Sanktionspaket ist im Vergleich dazu deutlich konkreter. Nach monatelangen, zähen Verhandlungen im Rat haben sich die Vertreter der Mitgliedstaaten am Mittwoch in der Sache geeinigt. Die entsprechenden Papiere, die bis Freitag final abgesegnet werden sollen, liegen der Süddeutschen Zeitung vor.
Demnach kann die EU künftig Exporte in bestimmte Drittstaaten wegen einer Umgehung von Sanktionen einschränken. Im Fokus stehen etwa Kasachstan, Armenien, die Vereinigten Arabischen Emirate und China. Firmen aus der Volksrepublik stehen nicht mehr auf der Sanktionsliste. Darüber hatte es diplomatischen Streit gegeben. Übrig blieben nur drei mutmaßliche russische Tarnfirmen mit Sitz in Hong Kong.