Energiekrise:Deckelchen und Geldsegen - worüber der EU-Gipfel streitet

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Hier in Wilhelmshaven sollen Tankschiffe künftig Flüssigerdgas ausladen. Die EU will den Rohstoff gemeinsam bestellen. Einen Preisdeckel soll es aber vorerst nicht geben. (Foto: Sina Schuldt/dpa)

Die Kommission macht Vorschläge zur Bekämpfung der hohen Gaspreise und verspricht Milliarden für Hilfsprogramme. Warum einige Regierungschefs trotzdem unzufrieden sein werden.

Von Björn Finke, Brüssel

Der Kampf gegen gestiegene Energiepreise ist nun schon seit einem Jahr ständig wiederkehrendes Thema bei EU-Gipfeln. Und es ist immer für einen deftigen Streit gut. Das wird an diesem Donnerstag und Freitag nicht anders sein, wenn sich die 27 Staats- und Regierungschefs in Brüssel treffen. Im Unterschied zu sonst können sich die Leaders, wie sie in der EU-Blase genannt werden, dieses Mal allerdings über detaillierte Vorschläge der Kommission zur Senkung der Gaspreise beugen. Behördenleiterin Ursula von der Leyen präsentierte am Dienstag, kurz vor dem Spitzentreffen, gleich ein ganzes Paket. Dieses wird einigen Regierungschefs aber zweifellos zu schmal ausfallen.

Schließlich haben mehr als die Hälfte der EU-Regierungen, darunter die französische und italienische, die Einführung eines Preisdeckels für Gas gefordert. Bei der Frage, ob dieser Deckel nur für Importpreise gelten soll oder für alle Großhandelsgeschäfte, gehen die Meinungen in diesem Lager zwar auseinander. Doch von der Leyens Vorschlag dürfte in jedem Fall hinter den Ansprüchen der meisten dieser Regierungen zurückbleiben. Die Deutsche will lediglich die Möglichkeit schaffen, bei extremen Preissauschlägen eine staatliche Obergrenze einzuziehen - und das nur für wenige Monate und auf einem hohen Niveau, das nicht den Verbrauch anheizt oder Förderländer verschreckt. Es ist mehr ein Deckelchen als ein Deckel. Das wiederum dürfte sehr im Sinne der Bundesregierung sein, die ausdauernd vor den Risiken harter Preislimits warnt.

Brüssel will 40 Milliarden Euro umwidmen

Manche Regierungen werben auch dafür, EU-weit den Gaseinkauf der Gaskraftwerke zu subventionieren. Diese teuren Kraftwerke treiben den Strompreis hoch, weil der sich am Anbieter mit den höchsten Kosten orientiert. Den Gaseinkauf zu verbilligen, würde die Stromnotierung senken. Spanien und Portugal haben das Modell bereits umgesetzt, allerdings ist dort seitdem der Gasverbrauch der Kraftwerke gestiegen - eine unerwünschte Nebenwirkung. Die Kommission verzichtet nun zunächst auf einen entsprechenden Vorschlag und verweist auf die schwierigen offenen Fragen. Die Behörde gelobt aber, mit den EU-Regierungen weiter an Instrumenten zu arbeiten, den Einfluss des Gaspreises auf die Stromnotierung zu verringern.

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Die Staats- und Regierungschefs werden sicher auch darüber reden, wie Brüssel den Ländern mehr Geld für Hilfsprogramme zur Verfügung stellen kann. Der 200 Milliarden Euro schwere Abwehrschirm, den Deutschland für seine Bürger und Firmen aufspannt, hat bei einigen Regierungen Angst vor Wettbewerbsverzerrung geschürt. Schließlich können sich nicht alle Staaten solche Pakete leisten. Von der Leyen schlägt jetzt vor, sich bei bisher nicht abgerufenen Mitteln aus EU-Töpfen zur Förderung abgehängter Regionen zu bedienen.

Zahlreiche Regierungen haben immer noch nicht alle Gelder genutzt, die ihnen aus dem abgelaufenen Sieben-Jahres-Etatplan, also dem für 2014 bis 2020, zustehen. Die Kommission will die Regeln für die Verwendung lockern, so dass die Mitgliedstaaten mit dem Geld Unterstützungsprogramme für Bürger und kleine Firmen finanzieren können. Die Änderung soll fast 40 Milliarden Euro loseisen.

Von der Leyen fordert mehr Solidarität

Zudem kündigt von der Leyen an, demnächst einen Vorschlag zu präsentieren, wie mehr Geld in das Projekt "Repower EU" gesteckt werden kann. Dahinter verbirgt sich das ehrgeizige Vorhaben, die Union komplett unabhängig von Energie-Importen aus Russland zu machen. Die Kommission unterstützt hierfür Investitionen in Pipelines, Stromnetze oder erneuerbare Energien. Die Deutsche sagt, sie wolle "die Feuerkraft" von Repower EU stärken.

Daneben widmet sich die Kommission dem Problem, dass Energiehändler und -versorger für ihre Bestellungen hohe Sicherheiten hinterlegen müssen - ein Ergebnis der gestiegenen und kräftig schwankenden Preise. Das bringt manche Unternehmen bereits in Geldnot. Die Behörde lockert daher die Regeln für Sicherheiten; Konzerne können jetzt neben Geld auch Bürgschaften als Pfand einsetzen.

Außerdem will die Kommission Europa besser für Notfälle vorbereiten. Von der Leyen klagt, EU-Regierungen hätten viel zu wenige Solidaritätsabkommen miteinander abgeschlossen - nur sechs von 40 möglichen. "Das ist nicht gut genug", sagt sie. Mit diesen Vereinbarungen verpflichten sich Mitgliedstaaten zu Hilfe, wenn beim Vertragspartner das Gas knapp wird. Deutschland hat zum Beispiel bloß Verträge mit Dänemark und Österreich unterzeichnet, nicht aber mit den anderen Nachbarn.

Die Kommission schlägt deswegen einen Standardsatz an Regeln vor, die gelten sollen, wenn kein Abkommen unterzeichnet wurde. Länder ohne Gas sollen sich also darauf verlassen können, den Rohstoff von anderen EU-Staaten zu erhalten. "Europäische Solidarität", sagt von der Leyen, "ist die beste Versicherungspolice für alle Mitgliedstaaten."

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