Volt im Europäischen Parlament:"Wir haben nicht den Anspruch, eine Kleinstpartei zu bleiben"

Kundgebung der proeuropäischen Partei ´Volt"

Damian Boeselager, einer der Gründer der proeuropäischen Partei Volt, spricht in Amsterdam bei einer Kundgebung

(Foto: dpa)

Im Europaparlament sitzt mit Damian Boeselager erstmals ein Abgeordneter der paneuropäischen Partei Volt. Ein Gespräch über große Ziele und positive Überraschungen in Brüssel.

Interview von Eva-Maria Brändle

Die Büros sind bezogen und die Fraktionen gebildet - die neunte Legislaturperiode des Europäischen Parlaments kann beginnen. An diesem Dienstag versammeln sich die Abgeordneten zur konstituierenden Sitzung in Straßburg. Für Damian Boeselager ist alles neu. Er ist nicht nur Parlamentsneuling; mit dem 31-Jährigen wird auch die Partei Volt zum ersten Mal in Straßburg und Brüssel vertreten sein.

Der Deutsche hat Volt 2017 zusammen mit einem Italiener und einer Französin gegründet - mit dem Anspruch, eine paneuropäische Partei zu sein. Nur in Deutschland gab es am Ende genug Stimmen für einen Sitz im Europäischen Parlament, wo sich die Partei schließlich der Grünen/EFA-Fraktion angeschlossen hat. Nun stehen wichtige Personalentscheidungen an.

SZ: Herr Boeselager, der EU-Sondergipfel zur Besetzung der Spitzenjobs ist am Montag abgebrochen worden - ohne Ergebnis. Was denken Sie über die Situation?

Damian Boeselager: Es ist für Volt und für unsere Wähler schwer nachvollziehbar, dass es trotz der hohen Wahlbeteiligung wieder nationale Regierungschefs und deren nationale Parteien sind, die den Prozess bestimmen. Wir brauchen endlich europäische Parteien, die auch so agieren.

Wer soll neuer EU-Kommissionspräsident oder neue EU-Kommissionspräsidentin werden?

Es wurde ja noch niemand vorgeschlagen. Wir werden das von den Inhalten abhängig machen. Was wir uns gewünscht hätten, ist, dass die Kandidaten sich vorab den Fragen des Parlaments gestellt hätten - das ist nicht passiert.

Im Parlament haben Sie sich der Grünen/EFA-Fraktion angeschlossen. In welchen Punkten unterscheiden sich Ihre Ansichten von denen Ihrer Fraktionskollegen?

Es gibt es keine hundertprozentigen Überschneidungen mit der gesamten Fraktion. Das wäre auch komisch, denn wir sind Volt und bleiben auch Volt. Unser Ansatz ist sehr effizienzbasiert, pragmatisch und auf die Zukunft ausgerichtet. Wichtig ist mir jetzt vor allem, dass wir gemeinsame Antworten finden auf große Fragen wie Klimawandel, Migration und Asyl. Da hoffe ich, in dieser Gruppe Unterstützung zu finden.

Waren Sie eigentlich überrascht, dass Sie es tatsächlich ins Europaparlament geschafft haben?

Ich war vor allem sehr aufgeregt, weil so viele Freiwillige monatelang Wahlkampf für Volt gemacht haben. Ich wollte diesen Erfolg auch für sie erzielen - nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Ich habe mich dann sehr gefreut, dass es funktioniert hat. Vorher habe ich nicht besonders viel darüber nachgedacht, ob es klappen wird oder nicht.

Was waren die wichtigsten Dinge, die Sie bis jetzt regeln mussten?

Zunächst mussten wir vor allem überlegen, ob wir uns überhaupt einer Fraktion anschließen wollen. Unsere Mitglieder haben dann über den Kontinent hinweg gemeinsam entschieden, dass wir das, um auch nur ansatzweise etwas bewegen zu können, tun sollten.

Was unterscheidet Sie als Vertreter von Volt am meisten von den anderen Mitgliedern des Europaparlaments?

Das sieht man ganz gut an der Wahl der Fraktion. Das haben die Mitglieder über den ganzen Kontinent hinweg entschieden, obwohl ich deutscher Parlamentarier bin. Ich sehe mich als echten europäischen Abgeordneten. Es haben um die 250 000 Menschen in Deutschland für Volt gestimmt und mich damit ins Parlament gewählt. Aber es haben auch ungefähr 250 000 Menschen in den anderen europäischen Ländern für das gleiche Programm und für Volt ihre Stimme abgegeben - das ist komplett einzigartig. Je mehr Mandate wir in den nächsten fünf Jahren auf unterschiedlichen Ebenen in verschiedenen Ländern gewinnen werden, desto weiter können wir diese europäische Partei aufbauen - und bei der nächsten Europawahl hoffentlich aus sehr viel mehr Ländern ins Europäische Parlament einziehen.

Es kam Ihnen bei der aktuellen Wahl allerdings zugute, dass es in Deutschland keine Sperrklausel gab. 2024 wird das anders sein - frustriert Sie das?

Nein. Eines meiner wichtigsten Anliegen ist es, dass die europäischen Wahlregeln reformiert werden, sodass sie überall gleich funktionieren. Um zur Wahl zugelassen zu werden, braucht man in Italien 150 000 Unterschriften, die in Anwesenheit eines Notars gegeben werden. Im Vergleich: In den Niederlanden braucht man 30 Unterschriften, um zugelassen zu werden. In Frankreich braucht man eine Million Euro, weil man seine Wahlzettel selber drucken und an die einzelnen Wahllokale schicken muss. Das sind alles Hürden der Demokratie und Ungleichheiten. Wenn es überall in Europa einheitliche Bedingungen gibt, dann scheuen wir uns auch nicht, den Wettbewerb anzutreten. Wenn es 2024 fünf Prozent braucht, dann treten wir halt auf die fünf Prozent an. Wir haben nicht den Anspruch, eine Kleinstpartei zu bleiben.

Sie haben sich vor der Europawahl ziemlich große Ziele gesteckt für die kommenden fünf Jahre, etwa eine umfassende Reform der EU. Die werden Sie kaum erreichen können.

Da wissen Sie mehr als ich. Es gibt über die Fraktionen und Gruppen hinweg die Bereitschaft, über Themen wie das Initiativrecht des Parlaments zu reden, über eine Wahlrechtsreform oder darüber, die Einstimmigkeit des Rates abzuschaffen. Was wir vielleicht leisten können, ist es, Druck aufzubauen in der Gesellschaft, dass das passiert, sodass es zu einer echten europäischen Demokratie kommen kann. Das anzugehen, ist eine wahnsinnig spannende Aufgabe und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man extrem viel verändern kann, wenn die europäische Bevölkerung das will und wenn wir unsere Rolle geschickt spielen. Die größte Schwierigkeit liegt darin, dass die nationalen Interessen so stark im Rat vertreten sind.

Volt spricht sich für ein föderales Europa aus. Wenn Sie darüber entscheiden dürften: Sollte die EU eine Verfassung erhalten, in der sie sich selbst Zuständigkeiten zuweisen kann?

Es gibt wichtige Themen, die wir europaweit lösen müssen. Wir müssen über Mehrheiten eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik hinkriegen, gemeinsam den Klimawandel bekämpfen und dafür sorgen, dass Unternehmen keine Steuerschlupflöcher nutzen können. Wir müssen mutige Antworten auf diese Themen finden und sollten nicht die ganze Zeit von einzelnen Mitgliedsstaaten ausgebremst werden. Das kann eigentlich nur passieren, indem wir das Parlament stärken und dafür sorgen, dass eine europäische Regierung auch letztlich verantwortlich gegenüber dem Parlament ist. Wenn wir die Zukunft der EU ernst nehmen, müssen wir überlegen, welche Veränderungen grundlegender Art nötig sind.

Sie sind inzwischen bestimmt schon öfter in Brüssel oder Straßburg gewesen. Hat Sie schon etwas überrascht?

Ich fand die Administration des Parlaments erstaunlich hilfreich, freundlich und schnell. Es gibt ja diese Vorstellung vom Bürokratiemonster Brüssel - mir ist das überhaupt nicht so vorgekommen. Und draußen vor dem Parlament sitzt man dann im selben Café wie Farage, Strache und Berlusconi. Dass diese Charaktere da tatsächlich mit einem auf einem Haufen sitzen, find ich schon ganz schön faszinierend.

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