EU-Verhandlungen nach Wahlen in Frankreich und Griechenland:Wachsen und Sparen

Die Sparpolitik in der EU hat durch die Wahlen in Griechenland und Frankreich deutliche Risse bekommen. Berlin und Brüssel fordern die Einhaltung geltender Abkommen - aber Kanzlerin Merkel und Innenminister Schäuble bauen öffentlich verbale Brücken zur Haltung des künftigen französischen Präsidenten Hollande. Nur kosten dürfte eine Politik des Wachstums nichts.

Stützen und Sparen, Sparen, Sparen - das waren bisher die Mittel, mit denen der überwiegende Teil des EU-Establishments, vorangetrieben von Angela Merkel, die Euro-Krise überwinden wollte. Doch der im Januar mühsam errungene Fiskalpakt, mit dem sich die EU-Staaten zu nationalen Schuldenbremsen verpflichten, wird nach den jüngsten Ereignisse in der europäischen Politik immer deutlicher in Frage gestellt.

Bundesfinanzminister Schaeuble weist Forderungen Hollands zurueck

Bundesfinanzminister Schäuble will Francois Hollande vom Sparen überzeugen.

(Foto: dapd)

Alexis Tsipras, Chef der Radikalen Linken in Griechenland, hat seinen Wahlkampf darauf aufgebaut: Er forderte einen kompletten Stopp der Schuldenrückzahlung seines Landes. Am heutigen Dienstag bekommt er das Mandat zur Regierungsbildung, weil die eigentlichen konservativen Wahlsieger im Rekordtempo mit der Regierungsbildung gescheitert sind. Auch Tsipras' Erfolg ist unwahrscheinlich. Griechenland ist ein größerer (finanzieller) Unsicherheitsfaktor denn je, denn ohne neue Regierung dürfte das Land bis Ende Juni bankrott sein.

"Klare Verabredungen in Europa"

Francois Hollande hat im französischen Wahlkampf zugleich mit der Formel vom Wachstumsimplusen statt Sparen gepunktet - und Nachverhandlungen des Fiskalpakts gefordert. Kein Wunder, dass in Brüssel und Berlin zunächst gemauert wird. Die Chancen für die reine Lehre vom Sparen, wie sie offiziell bislang verkündet wurde, schwinden aber.

Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker hat der Forderung des künftigen französischen Präsidenten François Hollande nach einer Neuverhandlung des Fiskalpakts eine Absage erteilt. "Ich habe ihm deutlich gemacht, dass einiges geht und einiges eben nicht geht. Was nicht geht, ist die Totalaufschlüsselung des verabredeten Fiskalpaktes", sagte Juncker am Montagabend im ZDF-"heute journal". Zuerst Angela Merkel, dann auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble pochten auf die Einhaltung der Absprachen in der Europäischen Union zur Bewältigung der Schuldenkrise. "Wir haben klare Verabredungen in Europa", sagte Schäuble am Montag im ZDF.

Aber dem W-Wort können weder Schäuble, Merkel oder Juncker ausweichen - und bauen verbal Brücken zu den Wachstumsverfechtern. Auf die Frage, ob Deutschland die Versprechen des neuen französischen Präsidenten Francois Hollande, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, mitfinanzieren müsse, antwortete Schäuble: "Nein." Schäuble sagte, auch die deutschen Vorschläge setzen auf Wachstumsimpulse. "Der Fiskalpakt hat ja das Ziel, durch finanzielle Konsolidierung eine Voraussetzung für dauerhaftes Wirtschaftswachstum zu schaffen." Die Bundesregierung habe immer gesagt, mehr Wachstum sei nötig.

Rösler fordert Wachstum ohne Ausgaben

Deutschland habe bewiesen, dass mit einer vernünftigen Reduzierung zu hoher Defizite zugleich das Wirtschaftswachstum verstärkt werden könne. "Diese Politik haben wir in Europa verabredet, und die werden wir gemeinsam mit Frankreich führen." Er sei "völlig sicher", dass das auch mit der neuen Führung in Paris möglich sei. "Die fiskalpolitischen Rahmendaten, die Defizitreduzierung, die ist vereinbart - und die wird von Frankreich genauso eingehalten werden wie von Deutschland." Die deutsch-französische Zusammenarbeit habe über Jahrzehnte immer gut funktioniert, unabhängig vom Ausgang der Wahlen, sagte Schäuble.

Auch Eurogruppen-Chef Juncker sprach davon, dass Europa Wachstumsimpulse brauche, um perspektivisch Hoffnung zu geben. "Die Wahlergebnisse in Griechenland zeigen ja, dass es eine absolute Hoffnungsabwesenheit gibt. Dieses Dilemma müssen wir beheben", sagte Juncker weiter.

Hollande hat am Montag erneut eine Präferenz für einen europäischen Wachstumspakt verkünden lassen. "Die neuen Maßnahmen für mehr Wachstum sind eine absolute Priorität für Hollande", sagte der sozialistische Wahlkampfleiter Pierre Moscovici in Paris. "Die französische Wahl ist für Europa und auch die gesamte Welt bedeutsam."

Moscovici kündigte an, dass Hollande gleich nach seiner Amtseinführung am 15. Mai nach Berlin reisen werde. "Die freundschaftliche Verbindung zu unserem Nachbarland ist für uns sehr wichtig", sagte der Sozialist. "Merkel und Hollande sind sich beide der künftigen gemeinsamen Aufgaben bewusst."

Selbst FDP-Chef und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler hat sich nun deutlich für eine Koppelung von Spar- und Wachstumspolitik ausgesprochen. Es gehe darum, die Finanzlage zu stabilisieren und Wirtschaftswachstum in allen europäischen Ländern möglich zu machen, sagte er in der ARD. Solche Pläne dürften aber nicht mit neuen Schulden finanziert werden. "Wachstum kann man nicht kaufen", sagte Rösler.

Angesichts der politischen Verschiebungen in der EU drängt Bundestagspräsident Norbert Lammert auf Nachbesserungen bei den geplanten Regelungen, durch die das Parlament beim künftigen Euro-Rettungsschirm ESM und beim Fiskalpakt beteiligt wird. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur mahnte Lammert im CDU-Präsidium und im Vorstand der Unionsfraktion Ergänzungen und Korrekturen am Gesetzentwurf der Koalition zum ESM an. Dies sei auch angesichts der jüngsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Mitwirkung des Parlaments bei der Euro- Rettung notwendig. Unter anderem fordert Lammert eine klare Festlegung, dass das Bundestagsplenum nicht nur im Grundsatz über Hilfszusagen für Länder entscheiden muss, sondern auch über deren Höhe und die Bedingungen.

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