Europäische Union:EU ringt um Ausweg aus Verbrenner-Streit

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Wie lange dürfen die Hersteller noch Verbrenner-Autos verkaufen? Die Frage schien geklärt - bis Volker Wissing dazwischen kam. (Foto: Marijan Murat/DPA)

Wird Deutschland zum "Green Deal"-Killer, weil die FDP Verbrennermotoren retten will? Brüssel könnte ein Schlupfloch im Gesetz gewähren - doch es stehen noch andere grüne Deals auf dem Spiel.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Bis vor einer guten Woche sah es so aus, als wäre ein Teil der deutschen Seele bald ein Fall für das Museum. Der Verbrennungsmotor, Ikone deutscher Ingenieurskunst, Symbol des Wirtschaftswunders, Wohlstandsgarant für Europas größte Volkswirtschaft, sollte ein Verfalldatum bekommen. Von 2035 an, so sieht es ein fertig verhandeltes EU-Gesetz vor, dürften nur noch Neuwagen verkauft werden, die kein Kohlendioxid emittieren. Doch dann scheiterte die Reform, vorerst, am Widerstand Deutschlands: Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) blockierte sie in letzter Minute, brüskierte die Mehrheit der EU-Partner und zog den Zorn der Brüsseler Institutionen auf sich.

Seitdem das Thema vorige Woche von der Tagesordnung des Ministerrats gestrichen wurde, glühen die Drähte zwischen Berlin und Brüssel, zwischen Umweltkommissar Frans Timmermans und den Berliner Ministerien für Verkehr und für Umwelt, zwischen der schwedischen Ratspräsidentschaft und der Bundesregierung. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach das Problem bei ihrem Besuch auf der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg an. Frankreichs Verkehrsminister Clément Beaune forderte am Mittwoch von Deutschland, die "Revolte" aufzugeben. Und nicht zuletzt die schwedische Ratspräsidentschaft macht Druck, um den Streit schnell aus der Welt zu schaffen.

Das Gesetz neu verhandeln? Eine rote Linie in Brüssel

Der deutsche Widerstand formierte sich zu einem Zeitpunkt, da Rat und EU-Parlament nur noch einen Haken an das Gesetz zu machen hatten - eigentlich eine Formalie. Allein schon, um die Gepflogenheiten der EU-Gesetzgebung zu bewahren, soll schnell eine Lösung her. Die scheint sich laut EU-Kreisen nun abzuzeichnen. Ohne das Gesetz noch einmal aufzuschnüren und neu verhandeln zu müssen - eine rote Linie aus Brüsseler Sicht - könnte die Kommission mit einem einfachen Kniff eine Ausnahme schaffen, um der deutschen Liebe zum Verbrennungsmotor Rechnung zu tragen: Indem sie einfach die Definition der CO₂-Neutralität von Fahrzeugen ändert. Sie könnte künftig ein Schlupfloch enthalten, sodass auch Verbrennerautos als emissionsfrei gelten, solange sie ausschließlich klimaneutrale synthetische Kraftstoffe tanken, sogenannte E-Fuels.

Die bieten eine potenzielle Alternative zu Benzin, Diesel und Kerosin und sind Kern der Auseinandersetzung. Sie entstehen unter hohem Energieaufwand aus Wasser und Kohlendioxid. Kommt der Strom für ihre Herstellung ausschließlich aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Sonne, gelten sie als klimaneutral. Dann halten sich die Emissionen am Auspuff und das zur Herstellung eingesetzte Kohlendioxid die Waage. Der FDP gelten sie als Rettungsanker für den Verbrenner: "Der Verbrennermotor an sich ist doch nicht das Problem, es sind die fossilen Kraftstoffe, mit denen er betrieben wird", sagte Wissing zuletzt im Interview mit Bild am Sonntag. "Daher möchte ich, dass wir hier auf synthetische Kraftstoffe umstellen."

Aus technischer Sicht ist das Wunschdenken, denn noch sind E-Fuels teuer und knapp, und es gibt zumindest in Europa noch zu wenig Wind- und Sonnenstrom, um sie wirklich klimaschonend herzustellen. Die EU-Kommission hält die neuartigen Treibstoffe vor allem im Flugverkehr für relevant oder etwa zum Betrieb von Feuerwehrautos. In der Politik sind technische Voraussetzungen aber eben nur eine von vielen Variablen. Und die Rahmenbedingungen könnten sich durchaus noch ändern, weshalb die FDP auf Technikoffenheit besteht.

Wissings Nein machte die Mehrheit zunichte

Wissing bemängelt, die EU-Kommission habe anders als versprochen nicht vorgeschlagen, wie auch nach 2035 noch Verbrennerautos zugelassen werden können, wenn sie nachweislich nur klimaneutrale E-Fuels tanken. Tatsächlich steht dazu ein "Erwägungsgrund" im Gesetz, als Teil einer Art Vorwort. Die Kommission werde demnach "einen Vorschlag für die Zulassung von Fahrzeugen nach 2035 vorlegen, die ausschließlich mit CO₂-neutralen Kraftstoffen betrieben werden". Natürlich werde die Kommission diesen Erwägungsgrund mit Leben füllen, sagte ein Diplomat der Süddeutschen Zeitung, "aber das geht doch nicht auf der Grundlage eines noch nicht verabschiedeten Gesetzes". Allein deshalb war man schon irritiert über Wissings Aufbegehren.

Die Suche nach einem Ausweg läuft nun seit gut einer Woche. Polen und Bulgarien hatten schon früh deutlich gemacht, das Gesetz ablehnen zu wollen. Auch die nationalistische Regierung Italiens hatte sich gegen das Verbrenner-Aus positioniert. Wissings Nein machte die Mehrheit im Rat zunichte, zuletzt sprang auch Tschechien den Blockierern bei.

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Noch besteht die Hoffnung, dass sich nicht noch mehr Länder der Phalanx gegen das Verbot anschließen. Denn die CO₂-Grenzwerte für Pkws sind nur eines von mehreren "Green Deal"-Gesetzen der EU, deren finale Abstimmung bevorsteht. In der Kommission befürchtet man, dass wegen des Streits der gesamte Zeitplan für diese Vorhaben infrage steht. Im EU-Parlament würden die Beteiligten "ausrasten", wenn das Verbrennergesetz scheitere, hieß es in Diplomatenkreisen. Gemessen an den Aussagen einiger Parlamentarier war es schon so weit: Bundeskanzler Olaf Scholz müsse aufpassen, dass er nicht "in die Geschichte Europas als der Mann eingeht, der den Green Deal gekillt hat", warnt der französische Liberale Pascal Canfin, Teil derselben Fraktion wie die FDP. Die habe sich mit ihrer Haltung innerhalb der Fraktion isoliert.

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