Ukraine-Hilfe:Böses Erwachen

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„Ich glaube, es wird sehr schwierig werden“: Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij (rechts) und Polens Premier Donald Tusk in Brüssel. (Foto: Ukrainian Presidential Press Office/AP)

Für die EU ist es ein Albtraum-Szenario: Donald Trump entzieht der Ukraine die US-Waffenhilfe und zwingt sie so zum Waffenstillstand mit Russland – dessen Einhaltung zu garantieren, wäre dann Sache der Europäer.

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Es schadet zuweilen nicht, eine Debatte, die kreuz und quer geführt wird, vom Kopf auf die Füße zu stellen. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij tat den europäischen Staats- und Regierungschefs diesen Gefallen am Donnerstag. „Ich glaube, es wird sehr schwierig werden, die Ukraine ohne amerikanische Hilfe zu unterstützen“, sagte er bei seiner Ankunft im Brüsseler Ratsgebäude, wo er beim EU-Gipfeltreffen zu Gast war – dem letzten, bevor am 20. Januar 2025 wieder Donald Trump in Washington das Präsidentenamt übernimmt.

Diese Aussage war einerseits ein wenig antiklimaktisch. Denn schließlich reden die Europäer seit Wochen genau über diese Frage: Wie kann Europa die Ukraine weiter unterstützen, wenn Trump die amerikanische Hilfe beendet oder doch zumindest wesentlich reduziert? Um das zu besprechen, war auch Selenskij nach Brüssel gereist, wo er zunächst am Mittwochabend Nato-Generalsekretär Mark Rutte plus einige europäische Staats- und Regierungschefs traf und tags darauf alle 27 Kolleginnen und Kollegen der EU. Dass ausgerechnet der Ukrainer selbst vor dem Gespräch am Donnerstag zu verstehen gab, er sehe mehr oder weniger schwarz für sein Land, sollte Trump die Unterstützung einstellen, ist kein Beleg für sein Vertrauen in die Stärke Europas.

Andererseits beschreibt Selenskijs Feststellung eben einfach die Realität. Die Fähigkeit der Ukraine, sich weiter gegen die russischen Angreifer wehren zu können, hängt zu einem wesentlichen Teil von den USA und deren Waffenlieferungen ab. Ohne amerikanische Waffen und amerikanisches Geld droht zumindest mittelfristig der militärische Kollaps der Ukraine. Beides hat Trump infrage gestellt.

Selenskij drängt vehement auf Sicherheitsgarantien

In Europa wird damit gerechnet, dass Trump genau diese Abhängigkeit als Hebel einsetzen wird, um ein Ende der Kämpfe in der Ukraine zu erzwingen. Das Szenario, das momentan durch Brüssel geistert, lautet ungefähr so: Trump stellt Selenskij vor die Wahl – entweder Friedensverhandlungen mit Russland oder keine Waffenhilfe mehr. Zugleich stellt er Putin vor die Wahl – entweder Friedensgespräche mit Kiew, oder die Ukraine wird so mit Militärgerät vollgestopft, dass sie wieder in die Offensive gehen kann und die russische Armee noch mehr ausblutet. Wobei nicht klar ist, ob Trump tatsächlich auch Moskau unter Druck setzen will oder sich nicht doch am Ende mit Kiew begnügt.

Am Verhandlungstisch wird dann, so das Szenario weiter, auf der Landkarte entlang der Front im Osten der Ukraine eine Linie gezogen, Russland behält die Kontrolle über die besetzten Gebiete. Der Rest ist danach eine Angelegenheit der Europäer, die sich um die Absicherung dieser erzwungenen Waffenruhe und die zukünftige Sicherheit der Ukraine kümmern müssen.

Für die EU wäre das ein sicherheitspolitischer Albtraum. Keine europäische Regierung – außer vielleicht der ungarischen – hat so viel Vertrauen in einen von Wladimir Putin geschlossenen Frieden, dass sie bereit wäre, eine eingefrorene Frontlinie in der Ukraine mit eigenen Truppen zu beschützen; erst recht nicht, wenn im Hintergrund nicht die Amerikaner mit ihren Atomwaffen stehen. Die Europäer reden zwar viel über „Sicherheitsgarantien“ für die Ukraine nach dem Krieg. Auch Selenskij drängt vehement darauf, denn er weiß, dass Russland Waffenstillstandsabkommen gerne dazu nutzt, den nächsten Waffengang vorzubereiten. „Ich denke, er ist verrückt“, sagte er am Donnerstag über Putin. „Er weiß das auch selbst, er liebt es zu töten.“ Die Ukraine brauche daher „echte Sicherheitsgarantien“, sonst gehe der Krieg nach kurzer Zeit weiter.

Fragt man jedoch in Europa herum, wie derartige Sicherheitsgarantien konkret aussehen sollen, hört man vor allem Argumente, was aus welchen Gründen leider nicht geht. Als zum Beispiel Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor einigen Tagen mit dem Plan aufwartete, eine 40 000 Mann starke europäische Schutztruppe in die Ukraine zu schicken, handelte er sich nicht nur eine klare – und erwartbare – Absage von Bundeskanzler Olaf Scholz ein. Auch der polnische Regierungschef Donald Tusk lehnte die Idee öffentlich ab. Polnische Diplomaten waren regelrecht entsetzt, wie nonchalant und unvorbereitet Macron den Plan lanciert hatte. Auch deutsche Regierungsvertreter halten die Sache für schlecht durchdacht.

Kanzler Scholz weigert sich zudem strikt, der Ukraine weitreichende Marschflugkörper vom Typ Taurus zu überlassen, die Kiew militärisch stärken würden und auf Moskau eine abschreckende Wirkung haben könnten. Auch die Aufnahme der Ukraine in die Nato, nach Meinung der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas ebenso wie von Selenskij die einzige wirklich funktionierende Sicherheitsgarantie gegen Russland, wird von einer ganzen Reihe europäischer Staaten und von Washington abgelehnt. „Ich glaube, dass rein europäische Garantien nicht ausreichen werden“, sagte Selenskij in Brüssel. „Die einzige Garantie, jetzt und in der Zukunft, ist die Nato“ - sprich: die Rückversicherung durch die Welt- und Atommacht Amerika. Doch dass Trump da mitmacht, ist mehr als unwahrscheinlich.

Das Ergebnis ist ein Dilemma: Die Europäer ahnen, dass der Tag eins nach einer von Trump ausgehandelten Waffenruhe womöglich nahe ist. Völlig unklar ist allerdings, was dann passieren soll, um die Ukraine davor zu bewahren, dass Putin in ein paar Monaten oder Jahren einfach mit seinem Feldzug weitermacht. Klar ist nur: Europa will, wie ein Diplomat es ausdrückt, „mit dem Problem Ukraine nicht allein sein“.

Brüssel will Kiew in eine möglichst gute Ausgangslage bringen

Das ist der Grund, warum aus den europäischen Hauptstädten inzwischen die immer gleiche Botschaft Richtung Amerika schallt, die auch am Donnerstag in der Abschlusserklärung des Gipfels stand: „Ohne die Ukraine“, so heißt es, dürften keine Entscheidungen „über die Ukraine“ getroffen, noch nicht einmal „Initiativen“ angeschoben werden. Damit ist auch gemeint: Ohne Europa darf Trump keine Deals mit Putin machen. Inwieweit Trump sich davon beeindrucken lässt, sei dahingestellt.

Lieber als über die Tage nach einer möglichen Waffenruhe reden die Europäer deswegen im Moment über die Zeit davor. Wenn, so die Logik, Trump in naher Zukunft ein Ende der Kämpfe und Verhandlungen erzwingen sollte, dann müsse Kiew dafür in eine möglichst gute Ausgangslage gebracht werden. „Frieden durch Stärke“ lautet das Argument, ihm folgt auch der Appell, den EU- wie Nato-Vertreter derzeit bei jeder Gelegenheit wiederholen: Alle Staaten sollen schnellstens mehr Waffen und Munition in die Ukraine schicken, vor allem Luftverteidigungssysteme, damit das Land den russischen Angriffen standhalten kann und nicht noch mehr Territorium verliert und nicht noch mehr Menschen fliehen müssen. Denn jeder von den Russen besetzte Quadratkilometer ukrainischen Gebiets wird wohl so schnell nicht wieder unter die Kontrolle Kiews gelangen.

Putin handelt nach Ansicht europäischer Diplomaten übrigens derzeit nach einer ganz ähnlichen Logik: Bevor Trump in Washington die Geschäfte übernimmt, soll die russische Armee in der Ukraine möglichst weit vorankommen.

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