Die Europäische Union hat 24 offizielle Amtssprachen. Google Translate beherrscht sie alle. Man kann also leicht im Internet nachschauen, was zum Beispiel der finnische Präsident sagen würde, wenn er „verdammter Mist, das hätte jetzt echt nicht sein müssen“ sagen wollte: „Pyhä paska, sen ei todellakaan tarvinnut tapahtua.“
Man kann auch nachsehen, wie der polnische Regierungschef in seiner Landessprache seinen Unmut über den Wahlsieg von Donald Trump in den USA ausdrücken würde. Oder der französische Präsident. Oder die künftige Hohe Beauftragte der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, eine Estin.
Doch in den offiziellen Reaktionen aus Europa auf Trumps Sieg findet man davon nichts. Stattdessen twitterten die Staats- und Regierungschefs der EU umgehend höfliche Glückwünsche an den 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Der Finne Alexander Stubb schrieb, er freue sich auf eine „enge Zusammenarbeit“. Der Pole Donald Tusk brachte ebenfalls seine Vorfreude auf „unsere Kooperation“ zum Ausdruck. Die Estin Kaja Kallas: „Ich gratuliere Donald Trump.“
Flötentöne aus den Hauptstädten
Auch aus Paris – nur Flötentöne. Der französische Präsident Emmanuel Macron beglückwünschte Trump um 9.08 Uhr am Mittwochmorgen in einer Nachricht auf der Plattform X. Er war damit etwas schneller als Bundeskanzler Olaf Scholz, der um 10.28 Uhr folgte. In den USA gab es zu diesem Zeitpunkt noch gar keinen offiziellen Sieger, sondern nur unvollständige Ergebnisse und Prognosen.
Aber was soll’s? Trump mag Lobhudelei, ebenso den Kurznachrichtendienst X seines Freundes und Wahlkampfhelfers Elon Musk. Und für die Europäer ist es jetzt wichtig, von Trump gemocht zu werden. Denn es ist ja kein normaler Regierungswechsel, vor dem die USA stehen. Am 20. Januar 2025 wird ein Mann ins Weiße Haus einziehen, den einige ranghohe frühere Mitarbeiter offen einen „Faschisten“ nennen und der in vielen außen- und sicherheitspolitischen Dingen vollkommen anders denkt und andere Ziele verfolgt als die Europäer. Wenn Trump die Regierungsgeschäfte übernimmt und anfängt, „America-First“-Politik zu machen, dann könnten sich acht Jahrzehnte Pax Americana und westliche Weltordnung, fast ein Jahrhundert transatlantische Sicherheits-, Werte- und Wirtschaftspartnerschaft in Luft auflösen – puff.
Europa, das kann man wohl festhalten, hätte mit großer Mehrheit Harris als Präsidentin bevorzugt. Jenseits aller diplomatischen Floskeln schwankt die Stimmung in der EU mit Blick auf Trump 2.0 daher eher irgendwo zwischen Angst und Panik, gemischt mit Rat- und Hilflosigkeit. Dass es nicht leicht werden wird mit Trump, wahrscheinlich sogar schlimmer als während dessen erster Amtszeit, gilt in der EU mittlerweile als gegeben. Von einem transatlantischen Handelskrieg über das Ende der amerikanischen Hilfe für die Ukraine bis zum Austritt der USA aus der Nato reichen die Horrorszenarien. Aber was Europa dann im Einzelfall tun könnte oder sollte, um sich zu wehren, ist nicht wirklich klar.
Die Notfallpläne sind eher dünn
„Wir sind vorbereitet, wenn es holpern sollte“, versichert zwar ein ranghoher EU-Diplomat. Er benutzt ein Wort, das man in Brüssel derzeit sehr oft hört – „prepared“, also vorbereitet –, das aber immer ein bisschen so klingt, als beschreibe es eher einen Wunsch als die Wirklichkeit.
Richtig ist, dass die EU-Kommission, die für die Handelspolitik der Union zuständig ist, ein Paket mit Gegenmaßnahmen ausgearbeitet hat für den Fall, dass Trump wie angekündigt alle Importe aus Europa mit Zöllen belegt. Die EU könnte dann schnell antworten. Es gab auch Treffen von Kommissionsexperten und Vertretern der EU-Mitgliedsländer, in denen erörtert wurde, wo und wie Trump Europa außerdem Schmerzen zufügen könnte – bei der Ukraine-Hilfe, beim Klimaschutz, bei der Energieversorgung.
Zudem gibt es bereits Kontakte zwischen dem Brüsseler Apparat und dem Umfeld von Trump. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schließlich kennt Trump noch aus dessen erster Amtszeit persönlich. Es war wohl kein Zufall, dass sie dem Amerikaner „warme Glückwünsche“ zum Sieg übersandte, während der scheidende EU-Ratspräsident Charles Michel deutlich kühler gratulierte.
Aber was Konkretes angeht, Taten statt Worte, sind die Notfallpläne der EU doch eher dünn. Es sei „unfassbar“, wie Europa geschlafen habe, schimpft ein Beobachter. Die EU sei keineswegs auf Trump vorbereitet, „weil der einzige Weg, auf Trump vorbereitet zu sein, darin besteht, unsere Fähigkeiten im Bereich Verteidigung zu bündeln und unsere Handelsinteressen klar und deutlich zu formulieren, und zwar nicht im Sinne der jeweiligen nationalen Egoismen, sondern als Bündnis“, klagt auch der grüne Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky: „Bisher sehe ich nicht, inwiefern wir in diesen entscheidenden Punkten gut dastehen.“
Das größte EU-Land steht ohne stabile Regierung da
Zunächst einmal wollen die Europäer über Trump reden. An diesem Donnerstag und Freitag treffen sich die 27 Staats- und Regierungschefs der EU in Budapest. Europa müsse sicherstellen, dass seine Geschichte von den Europäern selbst geschrieben werde, mahnte Macron zu Beginn der Gespräche, nicht vom russischen Kriegsherren Wladimir Putin, nicht vom chinesischen Diktator Xi Jinping – und nicht von Trump. Für die ersten Stunden des Gipfels waren am Donnerstag in Budapest noch fast 20 weitere Kolleginnen und Kollegen aus der europäischen Nachbarschaft dabei – unter ihnen der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij –, danach blieben die Mächtigen der EU unter sich.
Wobei die Frage, wer in der EU momentan eigentlich Macht hat, angesichts der wackeligen politischen Verhältnisse in den beiden wichtigsten Mitgliedsstaaten nicht leicht zu beantworten ist. In Paris regiert Macron de facto von Gnaden der Rechtsextremistin und EU- und Nato-Hasserin Marine Le Pen. In Berlin regiert seit Mittwochabend ein Kanzler auf Abruf, ohne Haushalt oder Parlamentsmehrheit. Dass das größte und wirtschaftlich stärkste EU-Land ausgerechnet dann keine stabile Regierung hat, wenn im transatlantischen Verhältnis und in der europäischen Sicherheitspolitik eine tektonische Verschiebung hin zum Schlechten droht, besorgt Diplomaten durchaus. „Das macht einem schon etwas Angst“, sagt ein Brüsseler Beobachter.
Der finnische Regierungschef Petteri Orpo sagte in Budapest, er hoffe auf eine schnelle Neuwahl in Deutschland. „Es ist wichtig, dass in Deutschland bald gewählt wird, denn wir brauchen ein starkes Deutschland“, so Orpo. Das heißt: Bis März, wie Noch-Kanzler Scholz sich das vorstellt, würde Europa lieber nicht warten müssen. Dass Deutschland sich von den zurückhaltenden Finnen Ratschläge zur Innenpolitik anhören muss, kommt auch nicht so häufig vor.
Das Zerbrechen der Ampelkoalition sei eine „unwillkommene Ablenkung zu einer Zeit, in der Europa eine gute Dosis Einigkeit und Entschlossenheit gebrauchen könnte“, kommentiert ein anderer Diplomat. Andererseits: Olaf Scholz galt in der EU nie als besonders entschlossener oder an Europa interessierter Politiker. Mittelfristig könnte sich Scholz’ Abgang deswegen als „verstecktes Geschenk“ erweisen, sagt ein Regierungsvertreter – zumindest wenn ein Kanzler nachfolgt, der die EU mehr schätzt und vielleicht sogar den oft zitierten deutsch-französischen Motor wieder in Gang bekommt, weil er bessere Beziehungen zu Macron unterhält als Scholz. In Brüssel wird jedenfalls zur Kenntnis genommen, dass der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, früher Europaabgeordneter war, drei Jahrzehnte ist das her.
Orbán will den Trump-Flüsterer geben
Einer, dessen relative Macht in der EU durch Trumps Sieg vermutlich gestiegen ist, ist der Gipfelgastgeber in Budapest: Viktor Orbán. Der rechtspopulistische ungarische Regierungschef hat von allen Kollegen in der EU am offensten und ohne Wenn und Aber auf Donald Trump gesetzt. Orbán teilt Trumps nationalistisches, xenophobes Weltbild, er lehnt wie der Amerikaner die finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine ab und zelebriert öffentlich seine nach wie vor guten Beziehungen zu Russland und dem dortigen Diktator Wladimir Putin. Er werde „einige Flaschen Champagner“ köpfen, wenn Trump gewinne, ließ Orbán schon vor der Wahl in den USA wissen – „néhány üveg pezsgőt“, wenn man Google Translate glauben darf.
Trumps Triumph ist somit auch Orbáns Triumph. „Er ist das Comeback des Jahres“, sagt ein Brüsseler Politiker. In der Tat: Es ist kaum zwölf Monate her, da war Orbán im Kreise seiner EU-Kollegen ein Außenseiter. Im Dezember 2024 zwangen ihn die anderen Europäer, der Eröffnung von EU-Beitrittsgesprächen mit Kiew zuzustimmen, im Februar musste er zähneknirschend ein 50 Milliarden Euro schweres Hilfspaket für die Ukraine mit absegnen.
Doch dann kam im Juni die Europawahl, bei der rechte Parteien stark hinzugewannen. Orbán schmiedete danach im Europaparlament eine neue, scharf rechte Fraktion, die „Patrioten für Europa“, die inzwischen drittstärkste Kraft ist. Und nun der Wahlsieg seines amerikanischen Freundes, den er in diesem Jahr schon zwei Mal in Florida besucht hat – Treffen, die offenbar Eindruck hinterlassen haben: Vor einem Jahr verwechselte Trump Orbán noch mit dem türkischen Präsidenten. In diesem Frühjahr sagt Trump dann über den Ungarn: „Niemand ist ein besserer, klügerer Anführer als Viktor Orbán. Er ist der Boss.“
Aus Rom kamen besonders herzliche Glückwünsche
Es gibt keinen anderen europäischen Staats- oder Regierungschef, den Trump derart mit Lob überschüttet. Entsprechend enthusiastisch fielen Orbáns Gratulationsbotschaften nach Trumps Sieg aus. „Das größte Comeback in der Geschichte der amerikanischen Politik“, schrieb Orbán auf X: „Ein Sieg, den die Welt dringend nötig hat!“ Wie sehr der ungarische Regierungschef, der in den vergangenen Jahren Milliardeninvestments aus China in sein Land geholt hat, noch jubelt, wenn Trump in einen Handelskrieg gegen Peking zieht und Europas Gefolgschaft fordert – oder von der EU angeboten bekommt –, sei dahingestellt.
Orbán Freundschaft mit Trump qualifiziert ihn aus seiner Sicht auch für ein inoffizielles europäisches Amt, das nun dringend besetzt werden muss: das des „Trump-Flüsterers“, also jener Person, die als eine Art Mittler zwischen den Europäern und dem Amerikaner fungiert und auf beiden Seiten Vertrauen genießt. Bei der Nato wurde rechtzeitig der Niederländer Mark Rutte als neuer Generalsekretär installiert, der angeblich ein gutes persönliches Verhältnis zu Trump hat. Er mahnte in Budapest auch gleich, die Europäer müssten künftig deutlich mehr als die bisher vereinbarten zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in ihre Verteidigung investieren – eine Forderung, die auch Trump erheben dürfte.
Bei der EU ist der Posten des Trump-Verstehers und -Übersetzers hingegen noch vakant. Während Trumps erster Amtszeit versuchte sich Macron in dieser Rolle – mit mäßigem Erfolg. Doch so sehr sich jetzt Orbán vordrängelt, die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen in der EU dürften skeptisch sein. Dazu habe der Ungar, dessen unabgesprochene Moskau- und Peking-Besuche im Sommer viel Misstrauen gesät haben, „einfach nicht genug Wumms“, sagt ein Diplomat.
Wenn, dann falle der Part der Trump-Flüstererin Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni zu, heißt es in Brüssel. Sie führt eine weit rechts stehende Regierung und teilt einige Ansichten Trumps, vor allem was den Kampf gegen illegale Migration und für konservative Werte betrifft. Zugleich regiert sie ein großes EU-Land, ist eine starke Unterstützerin der Ukraine, hegt keinerlei Sympathie für Putin und hat kein Interesse daran, dass Trump die EU spaltet und zerstört. Melonis Gratulation an Trump jedenfalls fiel wohl mit gutem Grund besonders herzlich aus: Sie schicke ihre „aller aufrichtigsten Glückwünsche“, schrieb sie bei X. „Gute Arbeit, Herr Präsident.“