Europäische UnionUngarn verliert Anspruch auf EU-Hilfen

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Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán in einer Pressekonferenz beim EU-Gipfel vor zwei Wochen.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán in einer Pressekonferenz beim EU-Gipfel vor zwei Wochen. (Foto: JOHN THYS/AFP)

Bis Ende 2024 hätte das Land Auflagen der Kommission umsetzen müssen, die wegen Verstößen gegen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verhängt worden waren. Dies ist nicht geschehen, nun werden etwa eine Milliarde Euro nicht ausgezahlt.

Ungarn hat wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit den Anspruch auf EU-Hilfen in Höhe von etwa einer Milliarde Euro verloren. Zur Freigabe des Geldes hätte das Land bis Ende 2024 Reformauflagen umsetzen müssen, wie eine Sprecherin der Europäischen Kommission der Deutschen Presse-Agentur bestätigte.

Bei den verfallenen Mitteln handelt es sich um 1,04 Milliarden Euro, die für Ungarn aus Programmen zur Förderung strukturschwacher Gebiete vorgesehen waren. Die Zuschüsse waren Ende 2022 eingefroren worden, als die EU-Kommission zu dem Schluss gekommen war, dass Ungarn verschiedene EU-Standards und Grundwerte missachtet. Zur Freigabe der Mittel hätte Ungarn unter anderem bis Jahresende Gesetze zur Korruptionsbekämpfung und Vermeidung von Interessenkonflikten ändern müssen. Das ist aber nicht passiert.

Die Führung in Budapest reagierte verständnislos auf den Verfall der Mittel. „Die ungarische Regierung hat alle Bedingungen für die Abrufung der EU-Ressourcen erfüllt“, schrieb Europaminister János Bóka auf seiner Facebook-Seite. „Brüssel will die Gelder, die Ungarn und den ungarischen Menschen zustehen, aus politischen Gründen wegnehmen.“

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Um Finanzierungslücken zu füllen, setzte Ungarns rechtspopulistischer Ministerpräsident Viktor Orbán zuletzt unter anderem auf China. Im April 2024 rief Ungarn einen über drei Jahre laufenden Kredit in Höhe von einer Milliarde Euro ab, den das Land bei chinesischen Staatsbanken aufnahm. Das geschah diskret und wurde erst im Juli bekannt.

Trotz der chinesischen Finanzhilfen versucht Orbán weiter, eingefrorene EU-Mittel freizubekommen. Insgesamt sind derzeit laut EU-Kommission etwa 19 Milliarden Euro blockiert, darunter weitere Fördermittel und Corona-Hilfen. Anfang Dezember drohte Orbán mit einem Veto gegen den nächsten Sieben-Jahre-Haushalt der EU, falls Brüssel die Zuschüsse für sein Land nicht freigibt. Die Verhandlungen über den Haushalt beginnen voraussichtlich Mitte 2025. Beim EU-Gipfel Mitte Dezember verweigerte Orbán dann seine Zustimmung zur Verlängerung der Ende Januar auslaufenden Russland-Sanktionen. Diplomaten werteten auch dies als Versuch, Zugeständnisse der EU-Partner zu erpressen.

Vor einem Jahr, im Dezember 2023, hatte die Kommission einen Teil der eingefrorenen Fördermittel freigegeben, was im Europaparlament teils heftige Kritik hervorrief. Abgeordnete warfen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor, sich von Orbán erpressen zu lassen. Damals wollte der ungarische Regierungschef die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und ein milliardenschweres Hilfspaket der EU für das von Russland angegriffene Land blockieren.

Polen übernimmt EU-Ratspräsidentschaft von Ungarn

Unabhängig vom Streit über die Rechtsstaatsprinzipien hat Ungarn zum Jahreswechsel den alle sechs Monate rotierenden EU-Ratsvorsitz an Polen übergeben. Regierungsvertreter des Landes werden damit bis Ende Juni die Leitung zahlreicher Ministertreffen übernehmen und bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den EU-Staaten vermitteln. Dabei geht es vor allem darum, einen möglichst reibungslosen Ablauf der EU-Gesetzgebungsverfahren zu garantieren.

Hoffnung in Brüssel ist, dass die polnische Regierung ihre herausgehobene Rolle nicht derart für eigene Zwecke instrumentalisiert wie in den vergangenen sechs Monaten die ungarische. So war der ungarische Regierungschef Orbán im vergangenen Sommer kurz nach Übernahme der Ratspräsidentschaft unabgesprochen nach Moskau und Peking gereist und hatte damit erheblichen Unmut in den meisten anderen EU-Staaten erregt. Von Polen werden diplomatische Alleingänge dieser Art nicht erwartet – auch weil Regierungschef Donald Tusk das Maschinenwerk der EU besser kennt als viele andere. Tusk hatte 2014 bis 2019 den Posten des hauptamtlichen EU-Ratschefs inne und leitete in dieser Funktion das Gremium der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten.

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