Ungarn und EUOrbán wittert eine Kampagne

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Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán ist bekannt dafür, jeden Hebel zu nutzen, um an EU-Geld zu kommen.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán ist bekannt dafür, jeden Hebel zu nutzen, um an EU-Geld zu kommen. (Foto: Marton Monus/dpa)

Ungarn verliert mehr als eine Milliarde Euro an EU-Hilfszahlungen, weil es sich weigert, rechtsstaatliche Reformen umzusetzen. Ministerpräsident Orbán hofft auf seinen Verbündeten in den USA.

Von Verena Mayer und Hubert Wetzel, Wien/Brüssel

Zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union wurden einem Mitgliedsland Zuschüsse gestrichen, weil es gegen Rechtsstaatsprinzipien verstoßen und von Brüssel geforderte Reformen nicht umgesetzt hat. Wie die EU-Kommission bestätigte, hat Ungarn zum 1. Januar 2025 einen Betrag in Höhe von etwas mehr als einer Milliarde Euro verloren, der dem Land aus den sogenannten Kohäsionsmitteln zugestanden hätte. So heißen Zuschüsse, die von Brüssel an ärmere EU-Mitgliedsländer vergeben werden, um die wirtschaftlichen und sozialen Standards dort anzuheben und auf EU-Niveau zu bringen.

Die EU hat in den vergangenen Jahren Hilfsgelder aus verschiedenen Töpfen an Ungarn eingefroren, insgesamt belief sich die gesperrte Summe Ende 2024 auf 20 Milliarden Euro. Brüssel will die Regierung des autoritären Premiers Viktor Orbán dadurch für ihre ständigen Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien, aber auch wegen der Korruption bestrafen, durch die der Regierungschef Freunde, Familienangehörige und politische Verbündete reich gemacht hat. Um an die eingefrorenen Gelder zu kommen, hätte Ungarn bis zum 31. Dezember 2024 von Brüssel vorgegebene Reformen beschließen müssen. Die EU hat das Recht, solche Reformen zu verlangen, weil sie über die rechtmäßige Verwendung europäischer Haushaltsmittel wachen soll.

Ungarn sieht sich seit einiger Zeit diskret nach anderen Geldquellen um

Da das Land die Reformen, bei denen es zum Beispiel um die Regeln bei Vertragsvergaben und den Ausschluss von Interessenkonflikten ging, nicht zur Zufriedenheit der Kommission umgesetzt hat, ist eine Milliarde der zurückgehaltenen Kohäsionsmittel nun verfallen. Dieses zugeteilte Geld hätte Ungarn bis Ende 2024 verbrauchen müssen, die Frist dazu ist aber endgültig abgelaufen, der Anspruch ist daher nichtig geworden. Der Betrag entspricht ungefähr 0,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung Ungarns.

Die Regierung in Budapest wittert hinter dem Entzug der Zuschüsse – wenig überraschend – eine Kampagne der angeblich linken Brüsseler Bürokratie gegen die unliebsame rechtspopulistische Regierung in Ungarn. János Bóka, der ungarische Europa-Minister, sagte Ende Dezember, seine Regierung habe alle Voraussetzungen für die Auszahlung der EU-Gelder erfüllt. Brüssel wolle diese dem ungarischen Volk wegnehmen, um „eine politische Agenda“ durchzusetzen. Ungarn werde aber „keinen einzigen Cent“ verlieren, solange es eine „patriotische und souveräne Regierung“ habe.

Obwohl die ungarische Regierung Bóka zufolge nun „alle rechtlichen und politischen Mittel“ ausschöpfen will, um Brüssel zur Freigabe der ausstehenden Gelder zu bewegen, sieht sie sich seit einiger Zeit auch diskret nach anderen Geldquellen um. So war im Sommer bekannt geworden, dass Ungarn in China einen Kredit von einer Milliarde Euro aufgenommen hatte.

Schon im Dezember weigerte sich Orbán, der Verlängerung der Sanktionen gegen Russland zuzustimmen

Da die ungarische Regierung mit einer gefährlichen Wirtschaftsflaute, hoher Inflation und einem Staatsdefizit von mehr als vier Prozent kämpft, sind fehlende Überweisungen aus Brüssel für Orbán ein Problem. Im kommenden Jahr wird in Ungarn gewählt, und Orbáns Regierungspartei Fidesz liegt in Umfragen inzwischen oft hinter der Oppositionspartei Tisza des Europaabgeordneten Péter Magyar. Verschärft wird die finanzielle Lage dadurch, dass Brüssel seit etwa einem halben Jahr pro Tag eine Million Euro von seinen Zahlungen an Budapest abzieht. Damit soll Ungarn gezwungen werden, sich an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu halten, das eine bessere Behandlung von Asylbewerbern verlangt.

Allerdings dürfte sich Orbán nicht ohne Kampf geschlagen geben. Zum einen hofft er wohl, dass sein Verbündeter in Amerika, der künftige US-Präsident Donald Trump, Druck auf die EU ausübt. Aus dem Trump-Lager war bereits die Behauptung zu hören, dass Brüssel Ungarn zu Unrecht Geld vorenthalte, das dem Land zustehe.

Zum anderen ist der ungarische Regierungschef in Brüssel bekannt dafür, jeden Hebel in Bewegung zu setzen – manche Diplomaten sagen: sein gesamtes Erpressungspotenzial auszuschöpfen –, um an das EU-Geld zu kommen. Insofern dürfte es kein Zufall gewesen sein, dass Orbán sich beim EU-Gipfeltreffen im Dezember völlig überraschend weigerte, die routinemäßige Verlängerung der europäischen Sanktionen gegen Russland um sechs Monate abzusegnen. Ohne seine Zustimmung würden Ende Januar die gesamten Strafmaßnahmen auslaufen, die die EU gegen Moskau wegen des Überfalls auf die Ukraine verhängt hat. Das wäre für Europa ein beispielloses Debakel.

Diplomaten glauben, dass Orbáns Veto eine Methode war, um der EU schon einmal die Folterwerkzeuge zu zeigen. „Er hat unzweifelhaft klargemacht, welche Hebel er hat“, sagt ein Regierungsvertreter.

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