EU und Ukraine:Eine einzige Demütigung

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Auf Konfrontationskurs: Demonstranten und Polizisten in Kiew. (Foto: AFP)

Die EU hat sich vom ukrainischen Präsidenten Janukowitsch am Nasenring durch die Manege ziehen lassen. Am Ende der sechsjährigen Verhandlungen steht sie düpiert da. Das ist fatal. Denn es reicht nicht, wenn Europa Werte hat, es muss sie auch verteidigen können. Sonst werden sich Staaten wie die Ukraine niemals sicher fühlen.

Von Stefan Kornelius

In der Europäischen Union muss nun die Suche nach Schuldigen für das Ukraine-Desaster beginnen. Da fahren also 28 Staatsrepräsentanten nach Vilnius, um sich vom Präsidenten einer Schaukelrepublik am Nasenring durch die Manege ziehen zu lassen. Das schmerzt: kein Abkommen nach sechs Jahren Verhandlungen, es rauchen nur die Trümmer. Eine einzige Demütigung bis hin zu dem Augenblick, als der ukrainische Präsident Janukowitsch nach dem Gipfel dem Kommissions- und dem Ratspräsidenten ein neues Abkommen vorschlug. Das war dreist.

In der EU wird sich kaum einer eingestehen, dass diese Machtprobe mit Russland verloren wurde. Und selbstverständlich kann man argumentieren, dass die EU ihre moralische Überlegenheit nicht preisgegeben hat. Sie ist die begehrtere Wertegemeinschaft. Wer an ihr teilhaben möchte, der muss schon freiwillig dazu bereit sein. Zwingen kann man keinen Staat zu seinem Glück. Die Annäherung aller Staaten an die EU funktionierte bisher ja auch nach dem Magnet-Prinzip: Alle Kraft geht vom Pol aus. Und der liegt nun mal in Brüssel.

Aber: Jenseits der reinen Lehre haben die Ukraine-Verhandlungen die Schwachbrüstigkeit der EU offenbart. Als außenpolitische Akteurin wirkt sie dilettantisch - ein aufgeregter Hühnerhaufen, in dem mal dieser Gockel, mal jene Henne auf den Mist steigt. Die Verhandlungen führt ein Erweiterungskommissar, mal trifft eine Außenministerin in Kiew ein, dann gar ein Regierungschef. Ihre Botschaften: unscharf.

Fragen zwingen sich auf

Mal ist die Freilassung von Julia Timoschenko eine zwingende Voraussetzung für ein Abkommen, mal nicht. Wenn Janukowitsch wenige Tage vor dem Gipfel unüberwindbare finanzielle Risiken anführt, dann schweigt diese EU. Hat man also über die Risiken verhandelt? Oder wurde das vergessen? Und wenn die Behauptungen nicht stimmen, warum korrigiert dann niemand den ukrainischen Präsidenten mit dem Stahlimperium im Familienbesitz?

Noch mehr Fragen zwingen sich auf: Wer in der EU hat mit Russlands Präsidenten gesprochen, der ja nicht erst seit Kurzem die Geschicke der Ukraine mitbestimmt? Und wo eigentlich war die Kanzlerin, die in dieser Frage unbestreitbar die wichtigste Akteurin im Kreis der 28 ist? Im Bundestag hielt sie eine scharfe Rede, als die Kollision schon nicht mehr abzuwenden war. Die Funkstille zwischen Berlin und Moskau aber dauert schon länger. In Kiew wurde Angela Merkel nicht gesehen.

Die EU ist eine außenpolitische Zwergin. Auch das ist keine neue Erkenntnis, siehe Ägypten, siehe Syrien, siehe auch im Umgang mit den USA. Wer seine Interessen durchsetzen will, der muss im Staatengeschäft mehr bieten als hohe Moral und einen dicken Geldbeutel. Bei Europas Durchsetzungsfähigkeit geht es nicht um Kraftmeierei. Es geht um Selbstbehauptung, um Sicherheit, Stabilität, die Durchsetzung dessen, was für richtig erachtet wird.

Europa mag Werte haben, aber es muss sie auch verteidigen können. Sonst werden sich Staaten wie die Ukraine niemals sicher fühlen.

© SZ vom 30.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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