EU und Türkei:Schulz und Erdoğan - Treffen zweier Klartextredner

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Martin Schulz (links) und Erdoğan: Nach dem Putschversuch dürfte die Stimmung zwischen den beiden angespannt sein. (Foto: picture alliance / dpa)
  • Europaparlamentspräsident Martin Schulz besucht die Türkei, doch Erdoğan ist schlecht zu sprechen auf den Gast.
  • Schulz hatte die Unterdrückungswelle nach dem Putschversuch scharf kritisiert.
  • Ein besonders heikles Thema bei dem Treffen ist die in Aussicht gestellte Visafreiheit für Türken in der EU.

Von Daniel Brössler, Brüssel

US-Vizepräsident Joe Biden war schon da. Wollte Martin Schulz seinem Beispiel folgen, dann müsste er sich erst einmal entschuldigen - dafür, dass er so spät kommt. Sieben Wochen nach dem Putschversuch in der Türkei macht der Präsident des Europäischen Parlaments am Donnerstagnachmittag im prunkvollen Palast zu Ankara seine Aufwartung bei Recep Tayyip Erdoğan. Mit einem allzu freundlichen Empfang kann der Repräsentant aus Brüssel nicht rechnen. Der türkische Präsident ist schlecht zu sprechen auf die Europäische Union im Allgemeinen - und vielleicht auch auf Schulz im Besonderen.

"Mein Besuch dient dazu, allen türkischen Bürgern die Ehre zu erweisen, die mutig auf die Straßen gegangen sind, um die Demokratie im Land zu verteidigen", lautet die tapfere Botschaft, die der SPD-Politiker seiner Reise vorausgeschickt hat. Sie beschreibt ungefähr den schmalen Grat, auf dem sich Schulz in Ankara bewegt. Je mehr er Erdoğan entgegenkommt, desto unglaubwürdiger könnte er sich bei den Abgeordneten im eigenen Haus machen.

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Bisher nämlich gehörte Schulz zu jenen, die besonders deutlich gegen die auf den Putschversuch folgende Unterdrückungswelle reagiert haben. Er habe den Eindruck, dass die "dilettantisch vorbereitete" Machtübernahme doch "sehr professionell beantwortet wird", hatte er in der Woche nach dem Putschversuch sarkastisch festgestellt. "In wenigen Stunden 13 000 Leute zu identifizieren, die man dann vom Dienst suspendiert oder verhaftet - das ist schon eine Leistung", klagte er.

Schon als Erdoğan wegen der Armenier-Resolution türkische Bundestagsabgeordnete beschimpfte, reagierte Schulz in scharfer Form. In einem Brief warf er ihm einen "absoluten Tabubruch" vor. Und nachdem die Regierung vielen türkischen Abgeordneten die parlamentarische Immunität entzogen hatte, sah Schulz die Türkei auf dem "Weg zu einem Ein-Mann-Staat" und Erdoğan eine "atemberaubende Abwendung von den Werten Europas" attestiert.

Zentrales Anliegen aus EU-Sicht ist der Flüchtlingsdeal

Schulz und Erdoğan kennen sich seit vielen Jahren und pflegen, wie berichtet wird, einen "offenen" Gesprächsstil. Erdoğan ist bekannt dafür, seine europäischen Gesprächspartner auch mal direkt zu beschimpfen. Die Fetzen flogen also auch schon vor dem Putschversuch. Seitdem aber fühlt der Präsident sich schlecht behandelt von den Europäern, vermisst Solidarität und vor allem Solidaritätsbesuche. Kein Problem, ich komme gern, soll Schulz nach einer dieser Vorhaltungen gesagt haben. Stunden später sei die offizielle Einladung da gewesen, heißt es.

Vor seiner Reise nach Ankara hat Schulz mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Donald Tusk, Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten François Hollande telefoniert. Eine Art offizielle europäische Botschaft überbringt er dennoch nicht. Es gehe, sagen seine Leute, schlicht darum, "den Gesprächsfaden wiederaufzunehmen".

In der Praxis wird das schwer: Zentrales Anliegen aus EU-Sicht ist es, den Flüchtlingsdeal zu erhalten. Erdoğan weiß das, findet aber, dass die Europäer den vereinbarten Preis nicht zahlen. Schon vor dem Putschversuch beschwerte er sich. Und in zumindest einem Punkt spielt das Europäische Parlament dabei eine zentrale Rolle: bei der in Aussicht gestellten Visafreiheit für Türken in der EU.

Das Parlament müsste ihr zustimmen. Schulz setzt das Thema aber vorerst gar nicht auf die Tagesordnung. Bisher seien nur 66 von 72 vereinbarten Bedingungen erfüllt, argumentiert er. Eine Zustimmung sei daher ohnehin aussichtslos. Mit Erdoğan will er über das Thema reden - was aber an der verfahrenen Lage erst einmal wenig ändern dürfte. Von der nötigen Änderung der Anti-Terror-Gesetze will Erdoğan gerade jetzt nichts wissen.

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