Süddeutsche Zeitung

EU und Großbritannien:Das Brexit-Drama steht vor dem Showdown

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Bis spätestens Montag wollen die Unterhändler aus London und Brüssel nun endlich Klarheit erzielen: Gibt es einen Deal oder nicht?

Von Björn Finke, Brüssel, und Alexander Mühlauer, London

Im Brexit-Streit wurden schon so viele Ultimaten und Stichtage verschlissen, dass selbst Verhandler bisweilen darüber scherzen, dass neue Deadlines kaum noch ernst zu nehmen seien. Doch jetzt soll es wirklich so weit sein: Nach Angaben aus Verhandlungskreisen haben sich die Teams aus London und Brüssel darauf verständigt, an diesem Wochenende möglichst endgültig auszuloten, ob eine Einigung auf ein Freihandelsabkommen zu schaffen ist. Spätestens am Montag soll klar sein: Gibt es einen Deal oder nicht?

Das Ergebnis ist offen, auf jeden Fall aber steht das Brexit-Drama vor einem Showdown. Am Freitagabend teilten die beiden Chefverhandler, Lord David Frost und Michel Barnier, in einer gemeinsamen Stellungnahme mit, dass die Gespräche unterbrochen würden, um die politischen Entscheidungsträger über den Verhandlungsstand zu informieren. Die Bedingungen für einen Deal seien noch nicht erfüllt, es bestünden weiterhin erhebliche Differenzen bei den drei bekannten Knackpunkten.

Umstritten sind noch immer die Fangquoten für EU-Fischer in britischen Gewässern, Vorgaben für fairen Wettbewerb zwischen Unternehmen in Großbritannien und in der EU sowie die Frage, wie Streitfälle geschlichtet werden sollen. Der britische Premierminister Boris Johnson und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wollen am Samstagnachmittag telefonieren. Es wird erwartet, dass die beiden versuchen werden, die politischen Weichen für einen Abschluss der Verhandlungen zu stellen.

Die Zeit drängt. Das Vereinigte Königreich hat die EU bereits Ende Januar verlassen, aber der wahre Bruch steht noch bevor: Zum Jahreswechsel endet die Brexit-Übergangsphase, in der Großbritannien weiter Teil des EU-Binnenmarkts und der Zollunion ist. Gelingt im Dezember nicht der Abschluss eines Handelsvertrags, werden von Januar an Zölle und Zollkontrollen eingeführt, zum Schaden der Wirtschaft, auch der deutschen.

Für die Deadline am Montag sprechen vor allem zwei Gründe. Erstens: Johnson könnte dann auf eine erneute Provokation der EU verzichten. Die britische Regierung hat angekündigt, dass sie ihr umstrittenes Binnenmarktgesetz am Montag wieder in seine ursprüngliche Fassung bringen will. Das Oberhaus hatte Passagen entfernt, weil diese den gültigen Austrittsvertrag mit der EU aushebeln würden - was den Zorn Brüssels erregte. Doch Johnson will diese Überarbeitung im Unterhaus rückgängig machen. Gäbe es einen Freihandelsvertrag, wäre das nicht mehr nötig.

Zweitens spricht für die Deadline am Montag, dass sich die Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstag zum EU-Gipfel treffen. Bis dahin hätten die 27 Regierungen ausreichend Zeit, eine mögliche Einigung zu prüfen und schließlich zu billigen. Danach müssten noch das Europaparlament und das Unterhaus den Vertrag annehmen. Das Europaparlament kann dem Abkommen eigentlich nur zustimmen, wenn es zuvor in alle 24 EU-Amtssprachen übersetzt ist. Das würde allerdings zu lange dauern, selbst wenn eine Sondersitzung am 28. Dezember einberufen wird.

"Der Brexit ist von einer Tragödie zu einer Farce geworden"

Sollten Parlament und alle Mitgliedstaaten einverstanden sein, könnte der Vertrag ausnahmsweise auch zunächst nur in seiner englischen Version verabschiedet werden. Oder er könnte ohne Plazet des Parlaments im Januar provisorisch in Kraft treten; die Abgeordneten würden ihre Zustimmung später erklären. Der wohl wichtigste Handelsvertrag in der Geschichte der EU würde dann nur sehr oberflächlich von den Volksvertretern geprüft werden. Entsprechend aufgebracht sind diese: "Der Brexit ist von einer Tragödie zu einer Farce geworden", sagt der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange. "Im Durchschnitt haben wir im Parlament für Handelsverträge 136 Tage gebraucht", klagt der Vorsitzende des Handelsausschusses.

Zugleich bedeutet diese Flexibilität, dass die Gespräche auch nach Montag weitergehen könnten. Diplomaten und Beamte in London und Brüssel weisen gerne darauf hin, dass es nur einen wirklich harten Stichtag gibt: den 31. Dezember. Und keine der beiden Seiten will als erste vom Verhandlungstisch aufstehen - und sich dem Vorwurf aussetzen, schuld am Platzen der Gespräche zu sein.

Um die Frage, wer bei einem Scheitern den Schwarzen Peter hat, geht es schon jetzt. Ein Vertreter der britischen Regierung warf EU-Chefverhandler Barnier bereits am Donnerstag vor, die Gespräche "mit neuen Elementen" zu belasten. London macht dafür vor allem den Druck der französischen Regierung verantwortlich. EU-Diplomaten sagen dagegen, es habe keine neuen Forderungen gegeben.

Klar ist aber, dass manche Regierungen nervös werden und fürchten, dass Barnier den Briten zu viele Zugeständnisse macht. Frankreichs Europaminister Clement Beaune warnte am Freitag: "Wenn der Vertrag nicht gut ist, werden wir ihn stoppen. Jedes Land kann ein Veto einlegen."

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